11. Wie die Könige nach Hause kamen und was weiter geschah

[400] Die Kön'ge, die in dreizehn Tagen

Der wundervolle Stern geführt,

Daß sie von keiner Reise Plagen,

Von keines Wegs Verdruß gespürt,

Seit sie zusammen heimwärts kehren,

Wie langsam geht ihr Zug voran,

Daß ihnen ewig däucht zu währen

Die jüngst so rasch durchflogne Bahn.


Bald gähnt ein Schlund vor ihrem Fuße,

Bald steigt ein Berg vor ihnen auf,

Vor einem brückenlosen Flusse

Steht jetzo, jäh gehemmt, ihr Lauf.

Und ist er überbaut, durchschwommen,

So wandern sie im öden Land;

Und wenn sie in's bewohnte kommen,

Faßt Niemand ihres Worts Verstand.


Doch wo durch Zeichen und durch Worte

Sie öffnen können Aug' und Ohr,

Erzählen sie von ihrem Horte

Und bringen ihre Wunder vor.[400]

Mit Demut und mit ganzer Liebe

Beschreiben Mutter sie und Kind,

Und wecken heißer Sehnsucht Triebe,

Wo Menschen, die es hören, sind;


Und ziehen fort, am Leib ermüdet,

Am Geiste fröhlich und getrost,

Im Herzen seliglich befriedet,

Wenn um sie Sturm und Wetter tost.

Es trennt sich keiner von dem andern,

Und endlich, nach dem zweiten Jahr,

Sieht man hinauf den Berg sie wandern,

Wo erst der Stern erschienen war.


Dorthin bescheiden sie die Fürsten

Und ihrer Völker manchen Mann,

Die nach des Sternes Heile dürsten –

Und kündigen das Wunder an.

Da regen sich mit froher Schnelle

Der Arme viel von Jung und Alt,

Und eine freudige Kapelle

Glänzt auf des Berges Spitze bald.


Der Götter trübe Mißgebilde

Sie blieben diesem Tempel fern,

Man sah da nur in sel'ger Milde

Des Kindes Bild in einem Stern.

Jetzt ekelte vor ihren Göttern

Der Völker aufgethanem Sinn,

Sie gingen fort, sie zu zerschmettern,

Und stellten Stern und Kindlein hin.


Drauf haben leiblich sich geschieden

Die frommen Kön'ge Hand aus Hand,

Und trugen ihres Kindes Frieden

Ein jeder in sein eigen Land;

Doch ihre Herzen allerwegen,

Die blieben bei einander stets;

Und jährlich kamen sie zu pflegen

In der Kapelle des Gebets.
[401]

Und jedesmal, so oft sie kamen,

Da wußten sie der Wunder viel,

Verkündeten, wie guter Samen

In so viel neue Herzen fiel.

Von unsichtbarer Hand getrieben,

Wird ihnen leicht ihr Fürsten-Amt,

Ein kindlich Hoffen, Glauben, Lieben

Hat ihrer Völker Herz entflammt.


Gar manches Jahr verging den Frommen

In solches Kinderglaubens Stral,

Und auf dem Berg zusammenkommen

Sind sie schon mehr denn dreißigmal.

Es war der König der Araben

Gebeugter, hundertjähr'ger Greis;

Des Mohrenjünglings Haupt umgaben

Die sonst so schwarzen Locken weiß.


Und also knieten einst die Greisen

Zusammen vor des Kinds Altar,

Und um die drei, da stand der weisen,

Der edlen Morgenländer Schar;

Da kam zu der geweihten Schwelle

Herein ein schlichter Pilgersmann,

Er schaut sich um in der Kapelle,

Er hebt getrost die Botschaft an.


Es ist ein Bote von dem König!

Wie horcht der Männer glaubig Ohr!

Wie wußten sie seither so wenig,

Welch neues Bild schwebt ihnen vor!

O martervolle Kreuzerhöhung!

O Tod von unerforschter Art!

O wunderbare Auferstehung!

O wonnereiche Himmelfahrt!


Der Bote bringt die rechten Kunden,

Er hat kein Traumbild ausgehegt,

Hat in des Meisters Seitenwunden

Die zweifelsbange Hand gelegt.[402]

Er ging, und auf dem Pilgerlaufe

Rief seinen Herrn und Gott er aus,

Und heute fodert er zur Taufe

Die Greisen in des Kindes Haus.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 400-403.
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