5. Wie die Könige zusammen kamen

[386] Als nun die zwölfte Nacht vergangen,

Die doch war keine Nacht zu nennen;

Da ward ein Nebel umgehangen,

Daß auch erlosch des Sternes Brennen.

Da blieb der Sonne Licht verborgen,

Da mußte, von der Nacht befallen,

Das erste Mal seit dreizehn Morgen

Der Zug der Fürsten mühsam wallen.


Auf eines Hügels Felsgesteinen

Hielt an der Eine mit dem Traben;

Er lagerte sich mit den Seinen,

Das war der König der Araben.

Sie sahn sich in den Finsternissen

Vergebens um nach Stern und Sonnen,

Sie lagen ohne nur zu wissen,

Was sie für Stätte sich gewonnen.


Da tönte nebenan Getose,

Als ob vom Roß auch Andre stiegen,

Da raschelt es im Bergesmoose,

Als thäten Andre neben liegen.

Und Antwort ward auf das Gebrülle

Der Stier' in des Araben Heerde: –

Jetzt stieg empor des Nebels Hülle,

Und Tag ward wieder auf der Erde.
[386]

Er stand auf eines Kreuzwegs Mitten,

Ihm gegenüber hielt ein Andrer,

Vom zweiten Pfade hergeschritten,

Ein männlich wohlgethaner Wandrer;

Und hinter ihm die Schar der Reiter,

Der Schafe Heerden, der Kameele;

Da zieht von beiden keiner weiter,

Ein Staunen fliegt durch beider Seele.


Und noch sind sie im Schau'n verloren,

Da kömmt auf drittem Weg ein Dritter,

In einer stolzen Schar von Mohren,

Er selbst ein junger, schwarzer Ritter.

»Was bringt euch,« rief er, »aus der Ferne,

So edlen Mann, so würd'gen Greisen?

Wärt ihr geführt von einem Sterne,

Wie ich, ihr würdet lust'ger reisen!«


Der zweite sprach: »Wohl einem Sterne

Vertraut' ich meine festen Tritte!

Nicht blindlings zieht ein Mann zur Ferne,

Nach sichrem Gut lenkt er die Schritte!«

Der erste sprach: »Es muß den Greisen

Ein helles Licht zum Wandern laden,

Mich hieß das Licht der Seele reisen,

Ein Himmelslicht schien meinen Pfaden.«


Ein Jeder sprach's in seiner Zungen,

Als wär's die eigne, däucht's dem andern;

Ein Jeder weiß, vom Geist durchdrungen,

Woher, wohin, zu wem sie wandern.

Sie reichen sich die Hand zum Bunde,

Sie sind Ein Herz und Eine Seele;

Sie küssen sich mit Brudermunde

Und loben Gott mit ein'ger Kehle.


Der Nebel zwar, der aufgestiegen,

Hat ihrem Blick den Stern verborgen,

Doch sich zu Füßen sehn sie liegen,

Das Ziel (so glauben sie) der Sorgen.[387]

Da liegt sie an des Berges Tiefen,

Zu der des Sternes Stralen luden,

Sie ruht im Schatten der Oliven,

Die königliche Stadt der Juden.


O wüßtet ihr, auf welchem Hügel,

Ihr Fürsten, euer Zug gehalten

Und warum seiner Stralen Flügel

Der Stern darob nicht mag entfalten!

Nicht ist er in der Stadt geboren,

Nicht suchet da den Königserben;

Doch dieser Hügel ist erkoren,

Darauf er soll am Kreuze sterben!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 386-388.
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