6. Wie die Könige in Jerusalem einzogen und zu Herodes kamen

[388] Der Nebel schwand im Sonnenlichte,

Da glänzte Tempel, Burg und Stadt;

Als nun die Schar, die reiche, dichte,

Durch die erhellten Thore trat.

Erfüllung wurde da den Worten:

»Es kommt, o Stadt! mit Gold und Gut

Der Heiden Kraft, und deine Pforten

Umlagert der Kameele Flut.«


Doch zitterten, die drinnen wohnen,

Als sie die Heereskraft erblickt,

Die Völker, die aus fernen Zonen

Der Aufgang, der erregte, schickt.

Die Stadt, sie fasset sie nicht alle,

Der Markt ist voll, es stockt das Thor,

Die andern lagern sich am Walle

Und liegen, wie ein Feind, davor.


Da dachte man der Väter Zeiten,

Die sahen all' der Völker Zahl

Um Wall und Mauer feindlich streiten,

Und sie bestürmen allzumal.

Da ward manch banges Wort gehöret:

»Der Indier ist da, der Mohr!

Der Ahnherr hat die Stadt zerstöret,

Wer weiß, was uns der Enkel schwor!«
[388]

Den alten König aus dem Schlafe,

Auch den Herodes weckt der Klang,

Er hört es nah'n wie Himmelsstrafe,

Er sieht vom Fenster aus den Drang.

Bald merkt er, wie der laute Schrecken

In stille Freude sich verkehrt,

Die Neugier lispelt an den Ecken,

Was ihr der Fremden Mund beschert.


Er hört das leise Wort der Leute:

»Geboren ist, den Gott verheißt!«

Und des Propheten Spruch tritt heute

Gerüstet vor den finstern Geist.

Die Schriftgelehrten heischt gesammt er,

Die Priester, in den hohen Rat,

Und frägt: »Wo ist, von wannen stammt er,

Der nach der Schrift Verheißung naht?«


Sie sprachen all' aus einem Munde:

»Du kennest des Propheten Wort,

Nicht deutet es, o Herr, die Stunde,

Doch wohl bezeichnet es den Ort:

Du kleines Bethlem bist erkoren,

Vor allem Juda sei erfreut!

Der Herzog wird aus dir geboren,

Der seinem Israel gebeut.«


Der König hat genug vernommen,

Er sendet nach den Fremden aus,

Er bittet sie, zu ihm zu kommen,

Man führt sie heimlich in sein Haus;

Da treten herrlich ausgeschmücket

Die Fürsten vor sein Angesicht;

Er steht so ärmlich, so gebücket:

Nein! solch ein König ist er nicht!


Doch sprechen sie mit würd'gem Neigen;

»Wir sehn, du bist der Fürst des Lands;

Du wollst das Königskind uns zeigen,

Das aufging, dieses Volkes Glanz.[389]

Es deutete, was da geschehen,

Ein alter Seherspruch uns schon,

Wir haben seinen Stern gesehen;

Sprich! ist's dein Enkel, ist's dein Sohn?«


Doch der, im Herzen schwer betrübet,

Sprach da mit lächelndem Gesicht,

In aller Falschheit wohlgeübet:

»In meinem Hause suchet nicht.

Es künden die Prophetengeister

Wohl einen andern, größern Herrn!

Auch mir erzählten's meine Meister,

Und ich – fürwahr, ich hört' es gern.


Drum sagt mir, wann sein Stern erschienen,

Erforschen möcht' ich es mit Fleiß;

Ich selber, glaubt mir, will ihm dienen,

Sobald ich seine Stätte weiß.

Es lassen ihn die alten Kunden

Aus Bethlem, Davids Stadt, erstehn.

Eilt, sagt mir's, wenn ihr ihn gefunden;

Nicht dürft ihr mich vorüber gehn!«


Er schweigt, und aus des Busens Schwärzen

Füllt sich sein Angesicht mit Nacht;

Den frommen Blick, die lichten Herzen

Der Kön'ge nicht es irre macht;

Sie künden ehrlich Tag und Stunde,

Daran das Licht erschienen ist,

Sie grüßen mit getreuem Munde,

Und ziehen weiter nach dem Christ.


Und Drommedar' und Stier' und Schafe

Und Roß und Mann ziehn aus der Stadt,

Jerusalem legt sich zum Schlafe,

In dem es vor gelegen hat.

Nur in dem Schloß, da wacht und zittert

Herodes vor der Fremden Wort;

Er rechnet hin und her, er wittert

Trug und Verrat; er sinnt auf Mord.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 388-390.
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