Der Maymorgen

[204] Ich jauchze dir, ich jauchze dir entgegen,

Der du in deine Fluth mich tauchst,

Dir, Genius des Tags, der du auf meinen Wegen

Jetzt Paradiese hauchst.


Sie ist verglüht die Weltensaat der Sterne

Vor deines Goldes erstem Glanz,

Und aus dem Feuermeer ziehst an der Berge Ferne

Du deinen Strahlenkranz.


Was schlief erwacht, wie sich die Spitzen röthen,

Und in dem Hain wird alles Chor

Zu deinem Feyergruß, und Philomelen flöten

Begeisterter empor.[205]


Dein Balsam weht in lieblichem Gemische

Mit Lebenskraft von Thal zu Thal

Auf Blumenteppichen, und deines Odems Frische

Gibt allen Nerven Stahl.


Erhebt den Herrn! tönts rund von jedem Hügel,

Wo eines Pflanzers Hütte steht,

Und aus der Bergschlucht hallts, und jedes Lüftchens Flügel

Empfängt ein Dankgebeth.


Dort gießt die Gluth sich von dem Felsen nieder,

Ein Lichtstaub, der von Gott sich schwingt:

Wir trinken von dem Quell, und stammeln nur die Lieder,

Die kaum der Seraph singt.


Das Weitzenfeld ist deiner Wohlthat trunken

Und badet sich in Perlenthau;

Und alle Farben blitzt in diamantnen Funken

Das Feyerkleid der Au.


Am Hügel hin wogt Hygieens Weben

Der Apfelbäume Blüthenduft,[206]

Und alles haucht mit Kraft das neugeschaffne Leben

In der gewürzten Luft.


In Gruppen steigt die Gegend auf und nieder;

Der Fluß rollt rauchend durch das Thal,

Verbirgt sich hier im Wald, und dort erscheint er wieder,

Und glüht im Sonnenstrahl.


Die Dorfschalmey ruft laut schon Muth und Freude,

Von Herdenglocken tönt der Zug;

Und mit dem Morgenlied hebt an dem Saum der Heide

Der Pflüger seinen Pflug.


Verschlaft im Flaum, ihr modischen Gerippe,

Der jungen Horen Reihentanz!

Euch reicht kein Felsenquell die Fluth der Aganippe

Kein Lenz den Blüthenkranz.


Ich reiße mich aus meinem dumpfen Kerker

Auf in die Arme der Natur,[207]

Und werde fröhlicher, lebendiger und stärker

In der erwachten Flur.


Elastisch hebt der Fuß, wie eine Feder,

Den Körper, den er rhythmisch trägt,

Indeß das leichte Blut zum Tanz durch das Geäder

Noch wie dem Knaben schlägt.


Ich will mich freun, will in den Strom mich stürzen,

Der unter mir zur Woge schwillt;

Und keine Bitterkeit soll mir die Kost verwürzen,

Aus der Genesung quillt.


Ich will mit Geitz in deinen Reichthum sinken,

Natur! Nimm deinen Zögling hin!

Will bis zum Taumel froh aus deinen Kelchen trinken,

Du Heilvergeuderinn!


Wer grollend nur in deinem Tempe schleichet,

Wird Feind von Menschen und von Licht;

Wem aber deine Hand des Lebens Freuden reichet,

Ist nie ein Bösewicht.[208]


Nur du allein kannst Menschen rein beglücken,

Und hauchest Seelenadel ein.

Ha, könnt' ich eine Welt jetzt an den Busen drücken,

Sie sollte selig seyn!


Ich breche mir von dem bethauten Stocke

Die erste Rose dieser Flur,

Und weihe mich im Flug der letzten Blüthenflocke

Zum Priester der Natur.


Gewährtest du, was du mir einst verhießest,

Vollenderinn Urania;

Ich stände jetzt beglückt, wie du mich hoffen ließest,

Zum Neid der Geister da.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Gedichte. Wien und Prag 31810, S. 204-209.
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