Syrakus

[377] Heute will ich fröhlich, fröhlich sein,

Keine Weise, keine Sitte hören,

Will mich wälzen und vor Freude schrein:

Und der König soll mir das nicht wehren.


So singt Asmus den ersten Mai in Wandsbeck; so kann ich doch wohl vier Wochen früher, den ersten April, in Syrakus singen; so froh bin ich, ob ich gleich vor einigen Stunden beinahe in dem Syrakasumpfe ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergib mir also ein bißchen Unordnung!

So wie ich zum Tore herein war und eine Straße heraufschlenderte, – wohl zu merken, mein Sack hielt keine große Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt leicht in den Taschen verbergen – so rief mir ein Mann aus einer Bude zu: »Vous êtes étranger, Monsieur, et vous cherchez une auberge? – Vous l'avez touché, Monsieur!« sagte ich. »Ayez la bonté d'entrer un peu dans mon atelier: j'aurai l'honneur de vous servir.« Ich trat ein. Der Mann war ein Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich leidliches Wirtshaus, das auch Landolina nachher als das beste nannte. Die Nahrung, wenigstens das Hutmachen ist in Syrakus so schlecht,[377] daß mein Franzose es gern zufrieden war, bei mir so ein Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina das erste Mal nicht, er war auf einem Landgute. In einer Festung kann ich doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus an den Hafen, nämlich an den großen oder an den Meerbusen, denn der kleinere auf der andern Seite nach den Steinbrüchen zu hat jetzt nichts Merkwürdiges mehr, so viel auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich ging gerade fort über den Anapus, weit hinüber über das Olympeum und wäre vielleicht bis an die andere Abteilung des Berges hinuntergegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte große Beute in Utika und war den dritten Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war, von dem er ausfuhr, darüber wird Dir Dein Livius Bescheid geben, wer kann alles behalten? Du siehst doch, daß ich, wenn ich sonst nur ein echter Weidmann wäre, in einigen Tagen die Jagdpartie des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen könnte.

Plemnyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur einen Spaziergang wert wäre. Eine zweite Sumpfgegend hielt mich auf, sonst wäre ich doch wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich mich ein Viertelstündchen an die zwei Säulen, die für die Überreste von dem Tempel des Jupiter Olympius gelten. Es versteht sich, daß die Tempel des Göttervaters meistens auch eine schöne Aussicht gewähren; hier ist sie herrlich. Indem ich sie genoß, setzte ich mich in die[378] Zeit zurück, wo Dionysius ebenso willkürlich den Haushofmeister der Olympier als den Zuchtmeister der Sterblichen machte. Und die Geschichte des Mantels und Bartes ist ebenso charakteristisch als des Dichters, der seine Verse nicht loben wollte. Als ich wieder über den Anapus herüber war, dachte ich gerade nach Neapolis herauszuschneiden und so einen etwas andern Weg zurückzunehmen. Die Sonne stand noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der Karte in der Hand gehen. Ehe ich mir's versah, war ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen, und kam immer tiefer hinein! ich dachte nun rechts umzukehren, um keinen zu großen Umweg zu machen, und da fiel ich denn einige Male bis an den Gürtel in noch etwas Schlimmeres als Wasser. Es ward Abend, und ich fürchtete, man möchte das Tor schließen, wo man denn ebenso unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich mich doch mit vielem Schweiß in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den Weg und kam so eben vor Torschluß herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirtshause wartete, war schon meinetwegen in Angst und erzählte mir nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer der Herren verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber nicht so glücklich und sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht herausbringen, ruft umsonst und feuert mit seinem Gewehr um Hilfe, darauf kommen seine Kameraden und müssen ihn nach vielem vergeblichen Rekognoszieren von allen Seiten mit Stricken herausziehen. Laß Dir es also nicht einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren gehst, gerade[379] hinüber nach der schönen Anhöhe zu gehen; bleib hübsch auf dem Wege, sonst kommst Du wie wir in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.


Eben komme ich von einem Spazierritte mit Landolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das ihm mehrere Reisende geben, ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Male mit wahrhaft freundschaftlicher Teilnahme mit mir weit herumgeritten und gegangen. Du weißt, daß er Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich, als man ihn in Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir unsre Pferde ließen und nach den äußersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen zu Fuße gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du vermutlich in ganz Sizilien in jeder Rücksicht finden kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bei Barthels sehen; alles würde doch bei mir wie bei ihm Landolina gehören. Wir waren schon weit umhergestiegen und setzten uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses halbe Stündchen für eines der schönsten, die ich genossen habe, wenn ich nur die Melancholie herauswischen könnte, die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah man die ganze große, ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, die nun halb als Ruine und halb als Wildnis daliegt. Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Hafen; links hinab ging bis ans Meer die gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer,[380] welche Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen ließ. Von beiden sieht man noch den Gang durch die Trümmern und hier und da noch mächtige Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das Städtchen ausmacht, liegen die Szenen der Größe des ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in dem Tale zwischen den Bergen hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag der mons crinitus, wo die Athenienser bei der unglücklichen Unternehmung gegen Sizilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das Haus des Timoleon, wo man bei der kleinen Mühle noch die Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem Feuer des Himmels seine Schiffe verzehrte; dort stand er im Lager und wagte es lange nicht, weiterzugehen, weil er sich hier vor der starken Besatzung der Außenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der Verräter erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab lag Thapsus und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern Meerbusens. Hier hätte ich tagelang sitzen mögen, mit dem Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben, und wenn sich ein Militär von Kenntnissen und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde eine angenehme, sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die Werke sind von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an Solidität und Größe schwerlich etwas Ähnliches aufzuweisen. Wenn sie nicht etwas zu weit[381] von der Stadt lägen, würden sie derselben von unendlichem Nutzen gewesen sein. Aber so waren es durch die Lage bloß sehr feste Außenwerke, deren Wichtigkeit vorzüglich der Peloponnesische Krieg gezeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite des Anapus nicht zwingen können, ihre Anzahl war vermutlich zu gering, und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer drangen durch die große Linie links. Wäre diese Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen, es wäre vielleicht dem Marcellus trotz der Verräterei nicht gelungen. Jede Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen Schlacht zum Manöver benutzen kann.

Jetzt sitze ich hier und lese den Theokrit in seiner Vaterstadt. Ich wollte, Du wärst bei mir und wir könnten das Vergnügen teilen, so würde es größer werden. Mein eignes Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu sein, aus Unachtsamkeit mit in Palermo gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, unseres Stroth, und dieses nämliche Exemplar war ein Geschenk von Stroth an Münter und von Münter an Landolina, und ich las nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas Magisches. – Sei nur ruhig! ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabei, und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du sollst hier mit keiner Übersetzung geplagt werden.

Auch heute komme ich von einem Spaziergange mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, die aber wirklich das Interessanteste der alten Überreste enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen des alten[382] Forums wieder aufgefunden, welche die Lage desselben genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen und besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze, gleich vor dem jetzigen einzigen Landtore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleien dienen. Die Römer trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Arena gibt jetzt einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf ist das alte große griechische Theater, fast rundherum in Felsen gehauen. Rechts, wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren Echtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich deutlich zu lesen. Es läßt sich viel dawider sagen, und sie beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin, Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg, vermutlich brachte sie ehemals auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so daß ein Zug Wasser gerade auf den Stein der Inschrift floß, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. Landolina geriet darüber billig in heftigen Unwillen, schalt den Müller und ließ es auf der Stelle abändern. Gegenüber steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freilich nichts mehr, aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, daß wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und das vermutlich in dieser kleinen Peripherie der große Mann begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnisweg hinauf und oben rechts herum auf der Fläche von Neapolis fort. Es würde zu[383] weitläufig werden, wenn ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und größern Begräbniskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomien, und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch genug ist es ausgehauen, und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, das man am Eingange zerreißt, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man stark in die Hand klatscht, gibt es einen Knall wie einen Büchsenschuß, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich die Art, wie es ausgehauen war, die ich Dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bei Neapel habe ich, wenn ich nicht irre, etwas Ähnliches in den Steingruben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so vollendet ausgearbeitet wie hier in diesem Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, ließe sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu sein scheint; aber daß er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es einen schrecklichen Kerker. Hin und wieder sieht man noch Ringe in dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige durchbrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen sein mögen. Diese gelten für Maschinen, die Gefangenen anzuschließen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemals für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahinzukommen. Ich bin also[384] nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt habe. Dieses Behältnis hat durch Erdbeben sehr gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber, oder an dem eigentlichen Ohre, ist kein Schade geschehen. Gleich am Eingange hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt, die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich, und es läßt sich wohl etwas anderes nicht daraus machen als eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängnis geführt, durch welche der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren durch Maschine mit einigen Engländern in das obere kleine Behältnis bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein verworrenes, dumpfes Geräusch.

Die Spießbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so leicht nehmen, und gestern Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bei einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber, ungefähr so: »Wozu soll das Kämmerchen oben gewesen sein? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin, kann nach der Lage nirgends anders hinführen. Wenn man jetzt oben nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daß man ehedem nichts deutlich hörte; die Erdbeben haben an dem Eingange vieles zertrümmert und eingestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man sagt, Dionysius habe in dieser Gegend der Stadt[385] keinen Palast gehabt. Zugegeben, daß dieses wahr sei, so war dieses desto besser für ihn, allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen. Er konnte deswegen bei wichtigen Vorfällen sich immer die Mühe geben, von Epipolä hierher zu kommen und zu hören, ein Tyrann ist durch seine Spione und Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen sybaritischen Volksquälern. Damit leugne ich nicht, daß er draußen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt haben, man hatte in Paris weit mehrere als wir hier in Syrakus«. Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzugetan. Mir deucht, für einen Bürger von Syrakus schließt er nicht ganz übel.

In dem Vorhofe des sogenannten Ohres treiben jetzt die Seiler ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein anderer Steinbruch, der einer wahren Feerei gleicht. Er ist von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich als nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer hat verschließen lassen. Von oben kann man das ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den niedlichsten Partien von inländischen und ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt in der schönsten Blüte, und ich war überrascht, hier den vaterländischen Baum zu finden, den ich fast in ganz Sizilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier in dem heißeren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das Vorzüglichste, was ich mit Landolina auf diesem Gange noch sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das Eigene[386] dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der Eigentümer hielt dieses für ein Mittel, es trocken zu halten, da diese Röhren vermutlich Luft von außen empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese Vermutung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte Presse für Wein oder Öl in Felsen gehauen, die noch so gut erhalten ist, daß, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in Gang gesetzt werden könnte.

Bei den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen Marmorhafens, sind die großen Latomien, die vermutlich die furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im Peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einigemal ziemlich lange darin herumgewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten darin angelegt, aus denen noch ebensowenig Erlösung sein würde. Man könnte sie noch heutzutage zu eben dem Behuf gebrauchen, und zehn Mann könnten ohne Gefahr zehntausend ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege mag sich auch nicht auf das damalige Beispiel eingeschränkt haben; dieses war nur das größte, fürchterlichste und gräßlichste. Die Mönche bewirteten mich mit schönen Orangen und bedauerten, daß die Engländer schon die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten aber nicht dabei, wieviel das Kloster Geschenke dafür erhalten haben mag, denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen Höflichkeit ziemlich teuer. Hier hat man einen ähnlichen Gang wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht ausgeführt worden, weil man vermutlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang[387] hier herumspazieren und findet immer wieder irgend etwas Groteskes und Abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem Platze des Erdbodens in diesem Grade wiederfindet. Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die bekannte Anekdote, daß viele Gefangene sich aus der schrecklichen Lage bloß durch einige Verse des Euripides erlösten, und mir deucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.

In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia ist jetzt nichts Merkwürdiges mehr als der alte Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Silbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht gibt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiß von dem festen Boden der Insel, und schon dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmal etwas da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Erhöhung nicht an, zumal den Griechen. Ich habe bei Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusamengetragen hat. In Sizilien und Italien dankt ihm jetzt niemand für diese Arbeit, es wäre aber für die übrigen Länder von Europa zu wünschen, daß sie bekannter würde. Vielleicht läßt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die vielleicht zu der Fabel[388] Veranlassung geben konnten. Sie quillt zuweilen rot, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen ganz weg, daß man trocken tief in die Höhle hineingehen kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte; sie vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu glauben schien. Durch diese Gabe muß die Nymphe notwendig schon die Göttin der Damen werden. Ähnliche Erscheinungen will man an dem Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort herüber und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht, das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet man, deucht mir, noch in Barthels zum Nachtrage in einem Briefe, der höchstwahrscheinlich auch von Landolina ist. Seitdem ist das Wasser süß geblieben, heißt es. Ich fand eine Menge Wäscherinnen an der reichen, schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und hell, aber nicht mehr, wie ehemals, ungewöhnlich schön. Ich stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hohlen Hand; man kann zwar das Wasser trinken, aber süß kann man es wohl kaum nennen, es schmeckt noch immer etwas brackisch wie das meiste Wasser der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muß also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich wieder gehoben sein. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat die nämliche Beschaffenheit und gehört wahrscheinlich durchaus zu der nämlichen Quelle. In der Kirche Sankt Philippi ist eine alte, tiefe, tiefe Gruft mit einer ziemlich bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nämlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es noch etwas salziger; das mag vielleicht von der großen Tiefe und dem beständig[389] verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen Tempeln fand. Sehr möglich, es läßt sich gegen die Vermutung nichts sagen. Aber kann es nicht ebensowohl ein gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauche gewesen sein? Er hatte unstreitig das nämliche Schicksal mit der Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiß, die Insel machte bei den alten Tyrannen von Syrakus die Hauptfestung aus. Man hatte außer der Arethuse wenig Wasser in den Werken. Diese schöne Quelle liegt am Meere und war sehr bekannt. Der Feind konnte Mittel finden, sie zu nehmen oder zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und ihn vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich will die Vermutung nicht weiter verfolgen und ebensowenig hartnäckig behaupten. Das Wasser als Lustralwasser konnte nebenher auch diese politische Reservebestimmung haben.

Als ich hier in der Kirche saß, die eben ausgebessert wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach recht gut Deutsch und hatte ehemals mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. Wenn man diesen Mann von der Regierung und der Kirchendisziplin sprechen hörte – man hätte Feuer vom Himmel zur Vertilgung der Schande flehen mögen. Alles bestätigte seine Erzählung, und bösartige Unzufriedenheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche nach seiner Aussage ein Greuel, wie man ihn in dem weggeworfensten Heidentume[390] nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art ist in der Gegend gar nichts Ungewöhnliches und wird mit einem kleinen Ablaßgelde nicht allein abgebüßt, sondern auch ungestraft fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich der Klerus für eine gemessene, oft kleine Belohnung sehr leicht zum Unterhändler hergibt, wenn er nicht selbst Teilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet sich an einen Mönch oder sonstigen Geistlichen, und die ehrsamste, sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach davon dem Altare gegenüber wie von gewöhnlichen Dingen, die jedermann wisse, und nannte mir mit großer Freimütigkeit zu seinen Behauptungen Namen und Beispiele, die ich gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die Tatsache und überlasse Dir die Glossen.

Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen Weise behandelt und aus einem sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so daß nur noch von innen und außen der griechische Säulengang sichtbar ist. Das Frontispiz ist nach dem neuen Stil schön und groß, sticht aber gegen die alte griechische Einfachheit nicht sehr vorteilhaft ab.

Bald wäre ich heute unschuldigerweise Veranlassung eines Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war mein Gast in dem Wirtshause, weil er sehr freundlich war und ein sehr gutmütiger Kerl zu sein schien. Ein Geiger, sein Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über seine Zutulichkeit und kam endlich auch auf einen eigenen eigentlichen topischen Fehler seiner Natur, an dem[391] der arme Teufel wohl ganz unschuldig war, da ihn andere vermutlich ohne seine Beistimmung an ihm gemacht hatten. Darüber geriet das entmannte Bild plötzlich so in Wut, daß er mit dem Messer auf den Geiger zuschoß und ihn erstochen haben würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. Auch der Sänger konnte die Ärgernis durchaus nicht verdauen und entfernte sich.

Eben sitze ich hier bei einem Gericht Aale aus dem Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherren gelten, und die ich also wohl ebenso verdienstlos verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft und halb mitgefischt. Ich fuhr nämlich heute Nachmittags mit meinen Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane links bald in einer solchen Menge, daß wir das Boot kaum durcharbeiten konnten, aber die schöne Quelle der Cyane konnte ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir mußten fürchten verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch, und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für meine Aale, machten auch Anstalt, sich derselben provisorisch zu bemächtigen, als ob das so Regel wäre, ich hielt aber den Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus essen und würde sie weder dem Bischof noch dem Statthalter noch dem König selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen ließe. Die Leute beguckten mich und ließen mich abziehen. Über das Papier selbst und des Landolina Art, es zubereiten, habe ich nichts hinzuzufügen, ob ich gleich glaube, in den bisherigen Beschreibungen[392] der Pflanze zwar keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit entdeckt zu haben. Die Sache ist indessen zu unwichtig. Unser schlechtestes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sizilien gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den Kommentar des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das Interesse des Altertums. Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mitteilen, welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem alten griechischen Theater saßen und ausruhten. Landolina machte mit einer fremden Gesellschaft, von welcher er einen unserer Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, eine ähnliche Wanderung. Hier entstand nun ein Zwist über eine Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise interpretierte. Einige hielten sie für das Grab eines Kindes irgendeiner alten vornehmen Familie und brachten Beweise, die vielleicht ebenso problematisch waren wie die Sache, welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, daß man über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich und hörte, wovon die Rede war. »Das kann ich Ihnen leicht erklären«, hob er an; »vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern, da ich nun seit mehreren Jahren keine Schweine mehr habe, füttere ich keine mehr daraus.« Die Archäologen lachten über die bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar geschrieben hätten. »So geht es uns wohl noch manchmal«, setzte Landolina sehr launig hinzu.[393]

Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von denen zu Neapel. Was beide ursprünglich gewesen sein mögen, ist wohl schwerlich zu bestimmen, aber daß beide in der Folge zu Begräbnisplätzen gedient haben, ist ausgemacht. Von den syrakusischen ließe sich vielleicht aus dem Bau mehr behaupten, daß sie ursprünglich dazu gehauen wurden. Der große Unterschied der neapolitanischen und syrakusischen besteht darin, daß in den neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts und hier in die Tiefe der Wand hineingearbeitet sind. Dort sind unten die größern und dann an der Wand herauf die kleinern Behälter; hier sind vorn die größern und dann weiter in der Felsenwand hinein die kleinern, so daß in Neapel das Dreieck der Lage an der Seite aufwärts, in Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist schwer, und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiß nicht, ob ich Dir deutlich geworden bin. Ein autoptischer Anblick gibt es in einem Moment. In Neapel lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, unten die größeren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus in den Felsen hinein, vorn größere und hinterwärts immer kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens nicht als Mönche. Der Eingang in die Grüfte ist hier eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur noch selten Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige Bewohner der Kirche und der Katakomben Glöckner und Sakristan und Abt und Kellner und Laienbruder zugleich. Das erstemal, als wir kamen, war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm[394] in den Feigengärten und gingen wieder mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Religiosen einen etwas sonderbaren, genialischen Auszug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nötig, um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also mit dem jungen Esel von dreiundzwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des Lebens konnte natürlich die große Tour nicht aushalten. Der Mönch mit seinem langen Talar nahm seinen Zögling auf die Schulter und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmut und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drei Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht mehr recht gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das Gescheiteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus getan hat! Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen Abteilungen der Katakomben läßt sich wohl nicht viel sagen, denn sie sind meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können, das ist indessen kein Beweis, daß es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, daß diese Katakomben bis nach Catanien gehen, vermutlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist ebenso, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle versichert, daß sie sich bis nach Goßlar erstrecke.

Der Sommer muß hier zuweilen schon fürchterlich sein, denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle[395] Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocco soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen sein, man finde nachher in einem solchen Grade alles verdorrt, daß man es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sei er nur sehr selten. Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sei so groß und scharf, daß er die Stengel der Pflanzen und die Äste der Bäume nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seien die zwei gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sizilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen, und man hat seit zehn Jahren wieder den ersten Schnee, aber auch nur auf einige Stunden, in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist dann ein Fest, besonders für die Jugend, welcher so etwas eine sehr große Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge.

Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall, die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Euryalus saß, der würdige, patriotisch eifernde Mann über das große traurige Feld seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte: »Das waren wir!« und mit einem Blick hinunter auf das kleine Häufchen Häuser: »Das sind wir!« Ich habe während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und liebenswürdigsten Charaktere gefunden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein hatte ehemals[396] mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur der dritte Teil der Insel ist bebaut, und dieses ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man bei der großen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genötigt gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel schreiben? Man gibt der physischen Verschlimmerung des Landes durch die Erdrevolutionen viele Schuld, aber die Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Eryx, des Taurus, und einige Felsenpartien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Gegenden, geben reichlich, wenn man fleißig ist. Sizilien ist ein Land des Fleißes, der Arbeit und der Ausdauer. Man will aber jetzt nur da bauen, wo man fast nicht nötig hat, zu arbeiten. Es sind freilich wenig große Striche hier, die so schwelgerisch furchtbar wären wie das Pampanertal, aber es könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.

Der Hafen ist fast leer und ist vielleicht einer der schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemnyrium und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten, sich der Insel zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen, sich recht tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir unglaublich vorkam; aber sie wurde verschieden im[397] Publikum hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus außerstande zu sein, schnell zu handeln, läßt alle Kaliber der Kugeln durcheinander werfen und die Munition in Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach Ägypten, und es war weder Gefecht noch Ergeben nötig; die Exzellenz zog sich durch ein sanftes, seliges Ende aus allen Verdruß. Hätten die Franzosen ihren Vorteil besser verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel anzugreifen, mit zehntausend Mann hätten sie dieselbe mit ihrer gewöhnlichen Energie genommen und mit gehöriger Klugheit behauptet. Freilich wären dazu andere Maßregeln nötig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da ergriffen haben. Sizilien wäre auch in einem östlichen Kriege ein ganz anderer Zwischenpunkt als Malta; das zeigt die ganze Geschichte und schon ein einziger Blick auf die Insel. – Es kommen jetzt selten Schiffe aus Syrakus. Bloß im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die Stürme, und dabei hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der Ankommenden beständig wieder.

Noch etwas Literarisches muß ich Dir doch aus dem südlichen Sizilien melden, damit Du nicht glaubst, ich sei ganz unter die Analphabeten getreten. Landolina läßt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher er beweist, daß der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein der όινος πολλιος oder πολιος der Alten sei. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube ich, die Gärten des Alcinous im Homer und Hesiodus in seinen Tagewerken im sechshundertundzehnten Vers. Im Homer heißt es, daß an den Weinstöcken reife Trauben und grünende Blüten zugleich gewesen seien, worüber sich unsere Ausleger zuweilen[398] quälen, sagte Landolina. Sie dürften nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus kommen, so konnten sie sich bei der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des Juli leicht überzeugen. Aber nur die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, daß sie reife und unreife Früchte und Blüten zu gleicher Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sei zunächst aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit wichtiger sein als mir Abaccheuten. Er hat mir manche nicht unangenehme philologische Bemerkung über manche griechische Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgeteilt hat. An der Arethuse kann man freilich manches etwas besser sehen als an der Leine. Übrigens sagte er noch, daß Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu urteilen, durchaus in Sizilien gewesen sein müsse, vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sei, weil er bei jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tick gegen die Insel äußere.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 377-399.
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