Achte Szene

[669] Southwark.


Getümmel. Cade mit seinem Gesindel tritt auf.


CADE. Die Fischerstraße herauf! Die Sankt-Magnus-Ecke hinunter! Totgeschlagen! In die Themse geworfen!


Es wird zur Unterhandlung geblasen, hierauf zum Rückzug.[669]


Was für einen Lärm hör' ich? Wer darf so verwegen sein, zum Rückzug oder zur Unterhandlung zu blasen, wenn ich sie alles totschlagen heiße?


Buckingham und der alte Clifford treten auf mit Truppen.


BUCKINGHAM.

Hier sind sie, die das dürfen, und die dich

Verstören wollen. Wisse, Cade, denn:

Als Abgesandte kommen wir vom König

Zum Volke, welches du mißleitet hast,

Und künden hier Verzeihung jedem an,

Der dich verläßt und friedlich heim will gehn.

CLIFFORD.

Was sagt ihr, Landsgenossen? Gebt ihr nach

Und weicht der Gnade, weil man sie euch bietet?

Oder soll Gesindel in den Tod euch führen?

Wer unsern König liebt und die Verzeihung

Benutzen will, der schwinge seine Mütze

Und sage: »Gott erhalte Seine Majestät!«

ALLE. Gott erhalte den König! Gott erhalte den König!

CADE. Was, Buckingham und Clifford, seid ihr so brav? – Und ihr, schlechtes Bauernvolk, glaubt ihr ihm? Wollt ihr denn durchaus mit eurem Pardon um den Hals aufgehängt sein? Ist mein Schwert dazu durch das Londner Tor gebrochen, daß ihr mich beim weißen Hirsch in Southwark verlassen solltet? Ich dachte, ihr wolltet eure Waffen nimmer niederlegen, bis ihr eure alte Freiheit wieder erobert hättet: aber ihr seid alle Abtrünnige und feige Memmen und habt eine Freude daran, in der Sklaverei des Adels zu leben. So mögen sie euch denn den Rücken mit Lasten zerbrechen, euch die Häuser über den Kopf wegnehmen, eure Weiber und Töchter vor euren Augen notzüchtigen; was mich betrifft, ich will jetzt nur für einen sorgen, und euch alle möge Gottes Fluch treffen!

ALLE.

Wir folgen unserm Cade! Wir folgen unserm Cade!

CLIFFORD.

Ist Cade Sohn Heinrichs des Fünften,

Daß ihr so ausruft, ihr wollt mit ihm gehn?

Führt er euch wohl in Frankreichs Herz und macht

Den kleinsten unter euch zum Graf und Herzog?[670]

Ach, er hat keine Heimat, keine Zuflucht,

Und kann nicht anders leben als durch Plünd'rung,

Indem er eure Freund' und uns beraubt.

Welch eine Schmach, wenn, während ihr euch zankt,

Die scheuen Franken, die ihr jüngst besiegt,

Die See durchkreuzten und besiegten euch?

Mich dünkt, in diesem bürgerlichen Zwist

Seh' ich sie schon in Londons Gassen schalten

Und jeden rufen an mit: »Villageois!«

Eh' laßt zehntausend niedre Cades verderben,

Als ihr euch beugt vor eines Franken Gnade!

Nach Frankreich! Frankreich! Bringt Verlornes ein!

Schont England, euren heimatlichen Strand!

Heinrich hat Geld, und ihr seid stark und männlich:

Gott mit uns, zweifelt nicht an eurem Sieg!

ALLE. Clifford hoch! Clifford hoch! Wir folgen dem König und Clifford.

CADE. Ist eine Feder wohl so leicht hin und hergeblasen als dieser Haufe? Der Name Heinrich des Fünften reißt sie zu hunderterlei Unheil fort und macht, daß sie mich in der Not verlassen. Ich sehe, daß sie die Köpfe zusammen stecken, um mich zu überfallen: mein Schwert muß mir den Weg bahnen, denn hier ist meines Bleibens nicht. – Allen Teufeln und der Hölle zum Trotz will ich recht mitten durch euch hindurch, und ich rufe den Himmel und die Ehre zu Zeugen, daß kein Mangel an Entschlossenheit in mir, sondern bloß der schnöde und schimpfliche Verrat meiner Anhänger mich auf flüchtigen Fuß setzt. Ab.

BUCKINGHAM.

Ist er entflohn? Geh' wer und folg' ihm nach;

Und der, der seinen Kopf zum König bringt,

Soll tausend Kronen zur Belohnung haben.


Einige ab.


Folgt mir, Soldaten; wir ersinnen Mittel,

Euch alle mit dem König zu versöhnen.


Alle ab.[671]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 669-672.
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