Das Eichenwäldchen zu B.

[157] Denk' ich meines Lebens Blüthentage,

Denk' ich, hoher Eichenwald, an dich;

Wo ich, unterm Nachtigallen – Schlage,

Leicht und froh durch kühle Schatten schlich;

Träumend lieg' ich dann noch an der Quelle,

Die sich laut vom grauen Berg ergoss,

Wo im Abendgolde jede Welle

Wie ein Stral geschmolznen Silbers floss.


In den Laubgewölben deiner Eichen

Bebte Lunens matter Silberglanz,

Auf dem Teppich unter deinen Sträuchen

Las ich Veilchen, reihte sie zum Kranz,

Schmückte damit Lina's blonde Locken,

Die auf Blumen dort im Schatten lag,

Und des Maien weisse Silberglocken

Unter frohen Lustgesängen brach.


In dem Purpurglanz der Abendröthe

Wiegte sich der Zweige zartes Grün;

Hirten, spielend auf der Silberflöte,

Trieben dort die satte Heerde hin.

Ach, da hoben heilige Gefühle

Aufwärts meinen freudetrunknen Blick,

Und ich kehrte dann ins Weltgewühle

Erst bei spätem Sternentanz zurück!
[158]

In des Waldes tiefen Schauerhallen,

Wo ein schroffer Fels den Blick verengt,

Dunkle Tannen in die Lüfte wallen,

Und ein Strom sich durch's Geklüfte drängt,

Lag ich aufgelöst in Harmonieen,

Göttliche Natur! an deiner Brust,

Meine Wangen fühlt' ich höher glühen,

Höher schlug mein Herz vor reiner Lust!


Trunken flohen meine feuchten Blicke

Ueber Wolken, über Sonnen hin;

Freudeweinend fleht' ich vom Geschicke:

»Lass mir ewig diesen reinen Sinn,

Dies Gefühl fürs Edle, Grosse, Schöne,

Dieses Herz, bereit zum Kampf für Pflicht;

Dies Entzücken, wenn die Wonnethräne

Stumm beredt aus nassem Auge spricht!«

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 157-159.
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