Räthsel

[248] Ich wandle hier und überall

Im waldumkränzten Blüthen-Thal,

Ich irre dort am blauen Bach

Dir traulich durch die Fluren nach,

Ich lausche sinnig mit am Quell,

Bald schleich' ich, und bald schreit' ich schnell,

Du beugest dich zu Blumen nieder,

Dann beug' und heb' auch ich mich wieder.


Im Hain, wo Philomele schlägt,

Und sanfte Herzen tief bewegt,

Da wall' ich still und wall' allein,

Umarmt vom bleichen Mondenschein,

Und winde mich so traut und leis'

Um's weiss beblümte Blüthen-Reis;

Dich drückt des Aethers bange Schwüle,

Dann wink' ich dir in meine Kühle!


Ich weile gern im Abendthau,

Und ruh' auf bunter Blumenau,

Und seh' es, wenn die Freundschaft weint

Um den entfernten theuern Freund,

Und blick' auf das Vergissmeinnicht,

Das stille Liebe heimlich bricht!

Du übst die schöne That verborgen,

Ich seh' sie heut', ich seh' sie Morgen!
[249]

Wie Heil'ge, wall' ich still dahin;

So feierlich mit ernstem Sinn;

Wenn hehr am Himmel Sterne stehn

Und Luna wallt um Blüthen-Höh'n,

Der Wald sich in ihr Silber taucht

Und wie ein heil'ger Altar raucht,

Und ernst dir winkt zu süsser Trauer,

Erhöh' ich dir den heil'gen Schauer;


Ich rede nicht, doch ist mein Laut

Dem weichen Herzen wohl vertraut,

Und was ich rede wird ihm klar,

Und überall erschein' ich wahr,

Voll Sehnsucht blickt der Schmerz mich an,

Und hebt das Aug' zum Sternenplan;

Und will dem Gram das Herz erliegen,

Ein Blick auf mich hilft ihn besiegen!


Du wallst mit mir zum Leichenstein,

Da ist mein Vaterland im Hain;

Im Hain, wo stiller Friede wohnt,

Und Ruhe nun den Dulder lohnt;

Wo warnend jeder Hügel spricht:

Bis hierher nur, und weiter nicht;

Wo gleich dem Nebel Kronen sinken,

Da will auch dir zur Ruh' ich winken!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 248-250.
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