10. Die Amtmannsfrau zu Helbra.

[13] Mündlich aus Mansfeld.


Einem Amtmann zu Helbra starb seine Frau, und er nahm eine zweite, die mit den Kindern der ersten lieblos umging. Da kam die erste alle Morgen und alle Abende zu den Mägden in den Stall, half ihnen melken und das Vieh striegeln und bat sie gar wehmüthig, alles Liebe, was sie ihnen hier im Stalle anthue, möchten sie doch ihren Kindern auf dem Schlosse wieder zu Gute kommen lassen; denn auf das Schloß dürfe sie nicht gehen. Und weil die Mägde freundlich gegen sie waren, wurde sie immer vertraulicher, bis sie eines Morgens, als sie fortschlich, vom Amtmann bemerkt wurde. Da ließ er einen Jesuiten kommen, welcher die Frau bannen sollte. Und der Jesuit hieß sie aus dem Grabgewölbe nehmen und in ein Gehölz vor dem Dorfe legen, welches das Pfarrholz heißt. An das Pfarrholz stößt ein Teich, und der Jesuit gab der Todten ein Sieb in die Hand und bannte sie, wenn sie im Grabe nicht rasten wolle, müsse sie mit dem Siebe erst den Teich ausschöpfen, ehe sie wieder auf den Schloßhof kommen dürfe. Und[13] nun war der Teich alle Morgen kleiner, und es währte nicht lange, so war er ausgetrocknet, und die Frau erschien wieder im Stalle. Da nahm man sie zum zweiten Mal aus dem Grabe und brachte sie über die Grenze in das ahlsdorfer Gebiet. Nun konnte sie nicht mehr auf das Schloß nach Helbra kommen; denn über die Grenzen dürfen Geister nicht: doch ging sie noch lange allnächtlich an den Grenzsteinen auf und nieder und schaute sehnsüchtig nach dem Schlosse hinüber. Und das ist erst vor fünf und zwanzig Jahren geschehen.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 13-14.
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