11. Altes Mütterchen erlöst.

[14] Mündlich aus Gutenberg.


In Gutenberg war eine Wöchnerin eines Abend ganz allein zu Hause, weil ihr Mann über Land gegangen war und sich auf dem Heimwege verspätet hatte. Und als sie nun so still in ihrem Bette lag und sich im ganzen Dorfe nichts mehr regte, da begann es plötzlich unter ihr im Keller des Hauses zu rascheln; die Kellertreppe herauf kamen langsame Schritte, und herein trat ein altes, gebücktes Mütterchen mit einem Spinnrocken in der Hand. Es setzte sich ohne zu grüßen oder ein Wort zu sprechen neben die Wiege und spann und sah das Kind von Zeit zu Zeit mit so recht freundlichen, doch wehmüthigen Augen an. Die Frau zitterte vor Angst, doch schwieg[14] sie und zog nur heimlich die Wiege immer etwas näher an das Bett. Als das Mütterchen eine Weile gesponnen hatte, stand sie auf, nahm den Rocken in die Hand und winkte der Wöchnerin mit ihr zu gehen. Die aber hüllte sich tiefer ins Bett, machte die Augen fest zu und sah nicht eher wieder auf als bis sie ihren Mann zur Thür hereinkommen hörte. Wie sie dem erzählte was sie gesehen hatte, wurde auch ihm ganz bang, und er versprach sie nicht wieder Abends allein zu lassen. Sie saßen nun die nächsten Abende traulich beisammen und sahen und hörten nichts. Nach einigen Tagen aber geschah es doch wieder daß der Mann, als die Nacht anbrach, noch ausblieb, und nun kam um dieselbe Zeit wie das erste Mal das alte Mütterchen mit dem Spinnrocken, setzte sich an die Wiege und spann ohne ein Wort zu sprechen. Und als sie wegging, winkte sie der Frau wieder und sah sie gar freundlich bittend mit so lieblicher und doch so bekümmerter Miene an, daß die Frau fast mitgegangen wäre, wenn sie nicht gefürchtet hätte, es sei nur ein böser Geist, der sie verlocken wolle. Am folgenden Morgen ging der Mann der Wöchnerin zum Pfarrer und erzählte dem die Geschichte von dem alten Mütterchen, welches schon zweimal bei seiner Frau gewesen sei. Und der Pfarrer kam zu der Frau, segnete sie ein und las eine Messe über sie (denn es ist dies Alles schon vor langer, langer Zeit geschehen, als die Sachsen noch katholisch waren), und nun hieß er sie, wenn das Mütterchen[15] wieder komme, getrost aufstehen und mitgehen, nun würden alle bösen Geister der Welt ihr kein Haar zu krümmen wagen. Als die Frau bald darauf wieder einmal des Abends allein war, kam richtig wieder das gebückte Mütterchen und spann wie früher still vor sich hin, grüßte nicht und sprach nicht; doch als sie diesmal den Rocken nahm und der Frau winkte, stand diese auf, ergriff ihre Lampe und folgte ihr. Sie gingen die Kellertreppe hinab, und als die Frau auf die unterste Stufe trat, fuhr sie erschrocken zurück, denn vor ihr stand eine Mulde voll runder, blanker Dukaten. Und das alte Mütterchen fiel ihr um den Hals und rief »Gott sei gedankt! Nun bin ich erlöst, und du bist meine Retterin. Ich war verwünscht diesen Schatz zu bewachen, bis am Neunten eines Monats in deinem Hause ein Knäblein geboren würde, dessen Mutter ich ohne zu sprechen zu dem Schatz herab locken könnte. Dein Sohn ist am Neunten geboren; doch wärst du heut nicht mit gekommen, so wäre ich verloren gewesen, denn nur dreimal durfte ich den Schatz verlassen. Nun nimm das Gold und lebe fröhlich damit; so lange Einer von deinem Geschlechte übrig ist, wird es nicht zu Ende gehen.« Und wie die Wöchnerin noch erstaunt bald das Mütterchen, bald die Dukaten ansah, war die Alte plötzlich verschwunden. Da griff die Frau eilig nach den Dukaten, um zu sehen ob sie auch verschwinden würden; doch es waren wirkliche Dukaten und wurden ihr sehr schwer, als sie die Mulde die Treppe hinauftrug.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 14-16.
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