43. Bischof Odo von Magdeburg.

[48] Pomarius Chronica der Sachsen und Niedersachsen S. 231-233.


Zu Magdeburg ging ein Knabe Namens Odo in die Schule; dem wurde das Lernen sehr schwer, und alle Strenge seiner Lehrer blieb ohne Früchte. Als er nun einst seiner Unwissenheit wegen in der Schule geschlagen wurde, ging er in die Kirche des heiligen Mauritius und betete voll Andacht zu dem Heiligen und zur Jungfrau Maria, sie möchten ihm einen helleren Verstand verleihen. Über dem Gebet entschlief er, und die Jungfrau erschien ihm im Traum und sagte, sie wolle nicht allein seine Bitte gewähren, sondern ihm die noch größere Gnade erweisen daß er nach dem Tode des jetzt regierenden Erzbischofs zu seinem Nachfolger erwählt werden solle: wenn er dann gut regiere, so werde er auch einen guten Lohn empfahen; doch wenn er dem Stifte übel vorstehe, solle er mit Leib und Seele des Todes sein.

Als nun Odo wieder in die Schule kam, that er es bald allen seinen Mitschülern zuvor, und Jedermann verwunderte sich woher ihm solche Geschicklichkeit gekommen sei. Zwei Jahre darauf starb der Erzbischof, und Odo wurde an seine Stelle erkoren. Er führte anfangs ein löbliches Leben; dann aber begann er im Guten abzunehmen, verbrachte Kirchengüter, lebte unzüchtig und wurde bei allen Ehrliebenden verhaßt. Da hörte er einst drei Nächte hinter einander eine Stimme, welche ihn warnte in der[49] Sünde nicht weiter zu gehen: er seufzte wohl ein wenig, doch besserte er sich nicht. Drei Monden danach betete ein frommer Domherr, Friedrich geheißen, des Nachts im Chor der Mauritius Kirche daß Gott der Kirche einen bessern Vorsteher verleihen und Odo strafen möge. Und dieses Gebet wurde sogleich erhört.

Es erhob sich ein mächtiger Wind, der alle Lampen in der Kirche auswehte, so daß der Domherr erschrak, sich in einen Winkel verkroch und das Beten vergaß. Er sah nun wie zwei Knaben mit brennenden Wachslichtern in die Kirche kamen und vor den Altar traten, und die ganze Kirche war davon hell erleuchtet. Ihnen folgten zwei andere; von denen trug einer einen Teppich und breitete ihn vor dem Altar aus, der andere brachte zwei goldene Stühle und setzte sie auf den Teppich. Hierauf folgte Einer in Gestalt eines starken Kämpfers mit bloßem Schwerte in der Hand: der trat mitten in die Kirche und rief mit lauter Stimme »O alle ihr Heiligen, deren Gebeine allhier in dieser Kirche ruhen, stehet auf und kommet für Gottes Gericht.« Da erschienen viele Frauen und Männer, unter ihnen Bischöfe und Ritter, im Chor. Und nun traten die zwölf Apostel ein und in ihrer Mitte Christus mit Krone und Scepter, heller leuchtend als die Sonne. Alle Anwesenden fielen vor ihm nieder. Er setzte sich auf einen der beiden Stühle, und ihm folgte Maria, gleich den Sternen stralend, mit einer großen Schaar Jungfrauen. Christus ging ihr entgegen, empfing sie mit aller Reverenz und[50] Ehrerbietung und führte sie zu dem andern Stuhl. Zuletzt erschien auch der heilige Mauritius in fürstlicher Gestalt und mit ihm seine Legion, und Alle fielen vor Christo nieder und riefen ihn um Recht an. Da gebot Christus den Bischof Odo zu holen; und als dieser gebracht wurde, trat der heilige Mauritius vor, erinnerte ihn an Mariens Gnade, an die Stimme, die ihn dreimal gewarnt hatte, und klagte ihn dann seiner Verbrechen an. Christus, der Richter, fragte die umstehenden Heiligen weß sie dabei bedünke. Da rief der vorberührte Kämpfer überlaut, Odo sei des Todes schuldig. Nun besprach sich Christus mit Andern, welchen Tod er leiden solle, und er fällte das Urtheil, daß er das Haupt verlieren müsse. Hierauf ging Christus mit Maria und vielen der Versammelten hinweg; und der Kämpfer oder, wie Andre glauben, der heilige Mauritius selbst trat herzu und enthauptete den Bischof.

Am Morgen erzählte der Domherr was er gesehn hatte, und man fand Odo in der Kirche enthauptet. Vor dem Altar blieben die Blutflecken noch lange zu sehen. Sie waren gewöhnlich mit einem Teppich bedeckt; doch wenn man einen neuen Bischof einführte, hob man, während das Te Deum gesungen wurde, den Teppich auf und zeigte dem Bischofe das Blut, damit er sich an Odos Schicksal erinnere und besser als er haushalte. Odo soll in der Mitte des zehnten Jahrhunderts oder fünfzig Jahre später zur Zeit Kaiser Ottos III. gelebt haben.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 48-51.
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