[217] Nacht. Sturm. Fliegende Wolken. Ein Zickzackweg erklimmt eine Anhöhe. Der heilige Franziskus von rechts, voran ihm der Bruder Leo. Der Wind ist ihnen entgegen und zerrt ihr armseliges Gewand. Der Regen durchpeitscht sie. Sie ersteigen langsam hin und her den Gipfel, auf dem ein Kreuz seine nackten Balken zeigt.
DER HEILIGE.
O Bruder Leo! Wahres Schäfchen Gottes!
DER BRUDER LEO steht.
Mein Vater redet –
DER HEILIGE.
Nicht so, Bruder Leo!
Laß uns nur weiterziehn in dunkler Nacht!
Daß wir nicht zögern! Weiter! Redend geh ich.
Bruder Leo geht alsobald.
Schreib auf, schreib auf und zaudere nicht, mein Schäfchen,
Den Spruch des Minderen, den Spruch des Bettlers
Franziskus, des ganz armen, Würmchens Christi:
»Wenn auch ein minderer Bruder Blinde sehend
Machte miteins und Krumme gerade, Teufel
Ausfahren mit Geschrei, Dämonen zittern,
Stummen die Zunge löste, Lahmen Füße,
Viertägige Tote ließe leben, (schreibe,
O Leo, dies bedachtsam mit dem Griffel:)
Ist nicht vollkommene Freude, nein, dies nicht.«
DER BRUDER LEO.
Erstaunlich, Vater, sehr erstaunlich!
Sie schreiten hin.
DER HEILIGE.
Leo!
Und füge dies noch bei, du treues Lasttier:
»Die Sprachen aller Zungen, Wissenschaft
Und Schrift und Prophezeiung und das Schauen
In die Gewissen andrer ganz durchdringend,
So alles das ein mindrer Bruder hätte:
Ist nicht die wahre Freude«, sagt dein Griffel.[218]
DER BRUDER LEO.
Ich schreibe, Vater, jedes Wort mir ein
In mein Gewissen, zu Portinukula
Trag ich es nach,
DER HEILIGE.
Und nach noch nicht den Schluß!
»Denn falls ein minderer Bruder durch die Gnade
Des süßen Christus redete mit Lippen
Von Engeln überfließendes Geheimnis,
Der Sterne Lauf vernähme, in den Kräften
Die Kräuter alle kennte, aller Tiere
Eigene Art, der Wurzeln und der Steine
Heimliches, alles dies, dazu noch Heilkraft
Von alledem: Es ist nicht wahre Freude,
Ist nicht vollkommen froh, ist nicht der Jubel.«
Sie schweigen wieder eine Weile.
DER HEILIGE.
O Schäfchen, Schäfchen, ich muß weiter sagen:
»Wenn auch ein minderer Bruder Prediger
Gewaltig wäre, alle Heiden finge
Ins Netz, bekehrte und bekehrte: nein,
Dies ist noch nicht der Springquell, der hoch aufspringt
In Freuden hin zu Gott.«
DER BRUDER LEO.
O Vater, Vater!
DER HEILIGE.
Ertrag ich's noch? O süßer Überschwang!
Nein, Bruder Leo, ob die minderen Brüder
Schon auf der ganzen Erde Beispiel sind
Von Heiligkeit und Andacht zur Erbauung,
Wie wär das wahre Freude! Wahre Freude!
DER BRUDER LEO.
Vater, ich halt es kaum! Ich halt es kaum!
Ich bitte dich um Gotteswillen, Vater,
Worin besteht sie nun? Oh, sag es doch!
DER HEILIGE.
O süßer Name Jesus! Aber wenn
Mein Schäfchen Leo, wir anlangen in
Santa Maria degli Angeli,[219]
Von Regen ganz durchweicht, von Kot ganz sudlig
Und mit dem Wurm, dem Hunger, – pochend also
Ans Tor, wenn dann der Pförtner kommt: »Wer seid ihr?
Ihr naseweisen Schlingel!« Wir hingegen
Demütig, Bruder Leo, demütig
Ihm sagen: »Zwei von euren Brüdern, Herr!«
Nun wirft er uns das Tor zu: »Schlechte Wichte!«,
Noch hinterdrein; wir aber stehen draußen
Starr, steif vor Kälte, und er tut nicht auf
In unwirtlicher Nacht; schreib: »Freude! Freude!
O hohe Himmelsfreude! Born der Gottheit!«
DER BRUDER LEO.
Ich schreibe schon: »O hohe Himmelsfreude«
DER HEILIGE.
Wir zittern durch und durch und klopfen an
Von neuem er jedoch fährt böse zu:
»Packt euch von hier, ihr Niederträchtigen!
Ins Wirtshaus! Oder wie? Wer seid ihr denn?
Hier gibt es nichts zu essen!« Dabei schlägt er
Mit Wucht ins Angesicht, daß wir schon taumeln,
Dies ist die höchste Freude dieser Erde!
DER BRUDER LEO.
Ich schreibe fort und fort.
DER HEILIGE.
Noch einmal schlagen
Wir atemlos das Tor: »Tut uns doch auf!«
Und flehen jammernd: »Wir sind mindre Brüder!«
Nun ist zu Ende die Geduld des andern.
Er gibt den Stock zu kosten. Tüchtig! Tüchtig!
Wir liegen da am Boden unter Hieben.
»Ihr unverschämten, meisterlosen Kerle!«
Und Wunden springen auf und platzt die Haut –
Wir aber jubeln ob so vieler Schläge,
Eins mit dem Kot, vor Schmerzen klappernd, preisen
Den gütigen Gott, der uns gewährt, die Leiden
Christi zu schmecken, zu ertragen; schreibe:
»O hohe Freude, ist ein Brautbett froher?«
Ja, schreibe, Leo, schreibe dies!
Sie sind oben.[220]
DER BRUDER LEO.
Mein Vater!
DER HEILIGE unter dem Kreuz auf den Boden niedergestreckt.
Und ach! Hier unter diesem süßen Holze
Und benedeitem Lamm
Erkenn ich voll das Übermaß von Hochmut
Der Seele mein. Gleich trittst du, Bruder Leo,
Mir auf die Kehle, hin und wider schreitend,
Und gibst mir unablässig diese Namen:
»Du Schuft, du Lästerer, Ehbrecher, Mörder;
Wie, hörst du noch nicht auf?« Und trittst mich weiter.
Beim heiligen Gehorsam!
DER BRUDER LEO zögernd den Fuß auf des Heiligen Kehle setzend.
Süßer Vater,
Warum nur dies, warum nur dies? O wehe!
Du bist das nicht!
DER HEILIGE.
Zu, Bruder Leo, zu!
Ich war das alles. Ohne Gottes Gnade
Wäre ich es noch. Und jeder Mörder wäre
Besser als ich bei soviel Überströmen
Von minniglichem Reichtum aus der Höhe.
Zu, Bruder! Hungert mich nach deinen Worten!
Und tritt mir derb!
DER BRUDER LEO.
O süßer Mörder, Vater,
Ehbrecher, Schuft –
Er bricht in Tränen aus.
Ich kann nicht! Ach, ich kann nicht!
DER HEILIGE.
So wenig Wahrheit sagen, Bruder Leo?
Ei sieh!
Doch hast du auch die Schrift bewahrt, mein Sohn?
Wenn wir geschlagen werden von dem Pförtner? –
Dort hängt der Heiland an dem bitteren Balken,
Der Herr der Welt macht beide Arme breit!
O süße Wonne mein! Oh niedrig! niedrig!
O Würmchen Gottes! Süße Liebe! Gott!
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