Zweites Bild


[242] Im Dom zu St. Peter. Rechts hoher, mächtiger Pfeiler, links hoher, mächtiger Pfeiler. Im Hintergrund der Schimmer einer ewigen Lampe. Es ist sehr früh am Morgen, noch finster. Erst zu Ende der Begebenheit wird es hell, dann enthüllt sich auch der Hintergrund, das Grabdenkmal eines Papstes. – Der Mönch Luther beim linken Pfeiler niedergekrümmt am Boden. Tiefe Stille. Nur der stöhnende Atem des Mönches weht hin und wieder.


DER MÖNCH LUTHER.

Ai! Ai! Verfluchte Schmach! Verdammter Hohn!

Zu Rom bist du, will heißen: nah der Hölle!

Sie schrien: passa! passa! hetzten: passa!

Jagten die Messe mich entlang mit passa!

Und toller: passa! passa! Ich wie'n Lamm,

Wie'n Christus unter Hunden mußt es dulden!

O Luther! Luther! kam's so weit mit dir!?

Bist du so tief erniedert, du mit Kot

Beworben und dein Heiland immerzu –!?

Beim heiligen Opfer! Passa! passa! passa!

O Christus! Christus! Martin! Und das andre!!


Der Bruder Johannes taucht von rechts auf, geht dort hinter dem Pfeiler vorüber und tritt nah heran.

Der Mönch Luther, ihn gewahrend, stöhnt und richtet sich halb auf, kniend an den Pfeiler gelehnt starrt er vor sich hin, aber er meidet das Anschauen des anderen.


BRUDER JOHANNES.

Luther! Du quälst und läßt es nicht! Mein Gott!

Hör doch auf mich! Hör doch auf mich! Ich ging

Hin durch die weite, wunderbare Halle,

Und wie ich stille steh am Grab des Petrus,

Bedenkend, was ein Fischer ausgerichtet

Durch dessen Hilfe, der uns fing im Netz

Ewiger Heiligung, – steh und aufrichte

Das Haupt zur Kuppel (die gleich wie ein Siegel

Besiegelt mit erhabenem Gefilde

Des Raums, den sie umwölbt, die Lieb-Gebeine[243]

Des Kirchenfürsten), weht herab ein Schauer

Der goldnen Lettern, die dort oben schlingen

Ihr Band im Kreis, ich fühle es tief tröstlich

Und wahr gewiß und bin so ganz i in Bann

Und flüstere mit ihnen: Tu es Petrus,

Et super hanc petram aedificabo

Ecclesiam meam. Du bist Fels, Ich will

Bauen auf diesen Felsen meine Kirche.

Wie steht sie groß und mächtig und bereitet!

DER MÖNCH LUTHER lacht grell.

Ja, groß an Unflat, mächtig, – und bereitet

Zur Höll zu fahren!

BRUDER JOHANNES.

Nein du Irrender!

»Der Hölle Pforten werden nicht bewältigen

Meine Gemeinde, aufgebaut auf Petrus!«

So sprach der Herr. So wird der Mächtige

Es machen noch durch die Jahrtausende!

DER MÖNCH LUTHER.

Das ist nun deine Art: so schöne Worte!

Die meine Art ist bitterlicher, doch

Wahrheit.


Er steht und richtet sich hoch auf.


Hast du nicht Mut, du Bruder? G'nügt

Dir eines Tempels schöne, bunte Halle!?

Mir nicht! Mir nicht! Und Christo nicht! Das sag ich!

Und eines weiß ich Du schließt deine Augen

Gewaltsam, haftest dich ans dinglich Schöne,

Was doch nur Tand ist vor der Wucht des Donnerers!

Du schließt die Augen, wie ein Flüchtling schließt

Die Augen vor der Waffe, die ihn will.

Geduckter Bleicher! Du geduckter Bleicher!

Nicht sehn der Kirche Schäden, weil dein Mütchen

Du laben willst an Augenkitzel und

Getändel. Feigling! Feigling! Feigling bist du!

BRUDER JOHANNES mit unerschütterter Stille.

Die Kirche ist wie eine Jungfrau reine.

Und wer rein werden will, soll Reinheit sehn

Und schauen brünstiger Liebe. Trifft dir dies[244]

Die reine Kirche, wenn ein Priester sündend

Sich kehrt in Wolf und Tier und sich befleckt?

Nur überreiner

Dem irdischen Auge glänzt sie über Makel

Des Einzelnen weiß auf!

DER MÖNCH LUTHER.

Du senkst die Hände

In Schoß, gaffst, sperrt das Maul und grinst

Für dich. Ja grinse, Grinser! Rühre nicht

'nen Finger! Wirst ja gut der Kirche nützen

Durch dein geruhsam Wesen, lieber duldend,

Daß unser Heiland in den Kot gezerrt wird,

Als daß du deine Ruhe ließest stören.

Ja, ruh nur! ruhe fein! da liegst du schon

Und schläfst und schnarchst! So wird die Kirche heil!

BRUDER JOHANNES.

Sie wird ja heil, doch du weißt nicht den Weg!

LUTHER höhnend.

Heil durch dein Schlafen?

BRUDER JOHANNES.

Nein. Doch durch mein Schrein

LUTHER.

Was für ein Schrein? Hast du auch eine Stimme!?

BRUDER JOHANNES.

Ja, eine Stimme, betend aufzurufen!

LUTHER.

Und so willst du die Kirche heil reformen?

BRUDER JOHANNES.

Durch brünstige Bitten und durch reines Beispiel.

LUTHER.

Bequeme Art, die Hände nicht zu regen!

BRUDER JOHANNES.

Ich rege meine Hände im Gebet.

LUTHER.

Und betend glaubst du, rührest du die Sache?

BRUDER JOHANNES.

Ich rühre Mächte, die die Himmel regen!

LUTHER.

Gott gab uns Arme, tätig anzupacken![245]

BRUDER JOHANNES.

Ich packe an, doch erst einmal mich selber.

LUTHER.

Du bleibst bei dir, wagst nicht herauszugehn!

BRUDER JOHANNES.

Ich pack mich an und strecke mich zu Boden,

Verharrend so, bis mich mein süßer Herr

Zur Sühne annimmt für das niedre Treiben

Und einen Engel schickt, der uns herausreißt.

LUTHER.

Du, Mensch, wagst Gott die Sühne zu erstatten?

Ketzer!

BRUDER JOHANNES.

Vereint mit Christus gilt mein Leben viel.

Mit Christi Sühnblut eins versühnt auch meins.

LUTHER.

Wohlauf! Wohlan! Lauf hin und wage Frommheit!

Bald liegst du ausgeweidet auf der Gasse,

Denn Priesterhände kennen kein Erbarmen!

BRUDER JOHANNES leise erschreckt.

Wie sprichst du, Martin? Bitt dich, lästre nicht!

LUTHER mehr erregt.

Ist Wahrheit sagen Lästerung!? Wer sagt das?

Eins sag ich dir: Wer fromm ist, wird verbrannt!

JOHANNES aufschreiend.

Martin!

LUTHER.

Versuch's! Versuch's! (Das soll nicht heißen:

Fromm ist, wer da verbrannt wird. Nimmermehr!

Den Feuertod dem Ketzer! Sagt ich was

Wider das Heil'ge, will ich selbst verbrannt sein!)


Groß auf.


Doch deiner Frommheit Weg ist nicht der meine!

Und deiner Hilfe Hand die meine nicht!

Das käme den Verruchten wohl zupaß:

Fein artig taub sein und das Maul fein halten

Und mit den Augen blinzelnd seitab sehn!

Stillsein zum Laster ist ein halbes Ja!

Und Bluten für das Laster: lasterhaft![246]

Blutfleck tilgt nicht den Schandfleck, ist zu wert

Für Schandfleck, aber ausgespannter Arm

Und offner Mund und Herz, das klirrend dreinschlägt!


Er steht keuchend.


BRUDER JOHANNES.

Was hetzt du dich ins Ungeheure hoch,

Um, ungeheur dir selbst, dich zu betören!

Die Lichtgefilde flücht'gen Blickes streifend,

Kehrst du dich hin, wo Hölle tobend Nacht fängt,

Und an dem furchtbarn Dunkel dich umdunkelnd,

Wächst du an ihren Rändern furchtbar auf.

Willst du die schwarzen Scharen siegreich treiben

Ins Finstere, so werde siegreich licht!

Ja, werde Licht! Und Lichtmacht! Greife an!

Doch trink dann erst vom Balsam tiefster Milde,

Durchbohre dich mit heiligem Verzicht! –

Du starrst die Hölle an, bis sie dich hat!

An ihrer Wut entflammst du dich mit Wut!

Dann spreizt du deine Flügel und fliegst auf:

Spreizt deine schwarzen (doch du wähnst sie weiß),

Fliegst gegen Himmel (doch du wähnst gen Hölle,

Um zu erdrosseln ihr gemein Gewürm.)

Nein, sag ich dir, du spannst die Schwingen wider

Das Heiligste.

LUTHER.

Duld ich noch die Beschimpfung?

BRUDER JOHANNES.

Luther, unsel'ger Dämon! Sieh rein zu!

Raff ein das Himmlische, raff in dich, innerst!

Oh, ganz verschling kristallrein springend Wasser!

In Buße und Abtötung herz den Tod,

In Untergang eins mit dem ausgespannten

Helden am Kreuz. Eins so mit dem Erstandenen,

(Und nur durch diese Weise, nur durchs Kreuz)

Ein blinkend Licht, ein schneidend Schwert und Licht,

Dann, Luther, greife an! Dann schneide nieder

Vom Himmel her mit einem lichten Schnitt

Entzwei die Hölle, stich sie bis ins Mark!

Dies ist der Weg, dein anderer ist Irrung.[247]

LUTHER.

Könnt ich so flink und fein die Worte setzen,

So gleißend blank und glatt, so blinzelnd schillernd,

So trüg'risch schwärmend, so gespreizt wie'n Priester,

So hin und her die Zunge, wie ein Aal

Im Wasser winkt und wimmelt, schwippt und gleitet,

Hei! hei! ich schmiegte mich an dir vorbei,

Hitsch! griffest in das Leere! Aber so,

Da ich ein Tölpel, ungelehrter Klotz

Und Polterer zudem, vermag ich's nicht

Mit gleicher Münze. Nur ein Stückchen hör,

– Ein Stücklein wahr aus tölpelhaftem Mund –

Hör es und richte dann: ich lese Messe,

Bedacht, das Kleinste sorgsamst zu versehen,

Bedacht, der inneren Andacht nicht ein Wörtlein,

Nicht sed noch et durchlasse Zung, zu rauben;

So komm ich langsam nur voran. Da hör ich

Hinter mir zischt's und zischelt's: Passa! passa!

Und wächst und schwillt und speit mir seinen Geifer

Ins Ohr (so zischelte die Schlange einst

Der Eva zu: Iß! iß!), – wie mir nun hier

Aus hundert Priestermäulern: Passa! passa!

Und toller: Passa! passa! passa! kommt

Der Ruf zur Sünde. Ich jedoch, wie'n Lamm,

Wie'n Christus unter Hunden mußt es dulden!

Und: Passa! passa! schrie's und wieder: Passa!

Sechs Fette wurden fertig mit der Messe,

Eh ich mit meiner war zu Ende. Was sagst du?


Hastig weiter.


Und ist dir dies zu wenig, weiß ich mehr;

In Rom wird man nicht fertig, nicht in Jahren,

Die Höll zu lernen, hei! hie Hölle, hie Rom!

Das ist ein Losungswort, das laß ich gelten!

BRUDER JOHANNES.

O Martin, brünstig bitt ich, sei nun stille

Zu Lieb dem weißen Leibe des Erstandenen,

Weil heute Ostern ist. Dies Fest will inn'gen

Jubel, will Herzen, die sich berstend öffnen,

Herauszugeben ihren Schein, der bleibt[248]

Allewiglich. Wie damals berstend auftat

Den Mund die Gruft und unsern Herrn herausgab,

Den Ewiglichen mild im Scheinen. Also

Zu Liebe dem so mildiglichen Fürsten

Sieh ab vom Zorn und neige dich still bittend.

LUTHER.

Gewäsch! Mein guter Bruder, willst nicht hören

Ein Weiteres, daß dir die Ohren brummen

Und summen? Glaub es wohl, daß du nicht willst!

Denn dieses Stück ist arg! Selbst Ostern wird

Bleich vor Entsetzen vor ihm, kreischt in Ohnmacht!

Vernimm's, entsetz dich, schlag ein Kreuz und schweige!

Ich ließ mir melden von glaubwürd'gen Zungen

Solch schauderhafte Meldung: Bei der Wandlung,

Wo unser einem fast die Zähne klirren

Vor Angst und Grausen vor so Heiligem ...

BRUDER JOHANNES fällt rasch ein.

Nicht so, wo uns das Herz in Lieb fast hinsinkt –

LUTHER in Hast.

So schaudervoller Frevel wird begangen,

Daß Erde schreit zur Sonne: Werde Nacht!

BRUDER JOHANNES wie oben.

Vielmehr: Erhelle Nacht! Verscheuche Nacht!

LUTHER wie oben.

Daß Mond und Stern vor Starren sich verfinstern

Und schwarze Leere klafft –

BRUDER JOHANNES.

Komm nun zum Ziel!

LUTHER.

»Brot bleibe Brot!« »Wein bleibe Wein!« So geifern

Die Frechen – Luther! Luther! lebst du noch!?

Oh ungeheurer Frevel, grasse Schande!

Schandhaft: Besudeln, gottverfluchte Unzucht,

Laster und Unflat – muß ich dieses dulden,

Der ich in Liebe glüh zu meinem süßen

Christus? Was stehst du da und starrst mich an?

Hast du noch Worte? Hast noch eine Zunge?

Ward dir zu Eis dein sonst so flink Organ?

Ja, stumm und still und Faust, das ist die Antwort![249]

BRUDER JOHANNES.

Bei deiner nächsten Messe, bei der Wandlung

So unter Zähren anflehn den Geliebten,

So innig sich zur Sühne bieten, innig

Vergebung heischen den unseligen Männern,

Dann unter solcher Glut die Worte sprechen,

Die heil'gen fünf, wie du nur glühen kannst

In Lieb, in Inbrunst, in Hingebung, Sehnsucht,

Daß der Geliebte etwa sich herabläßt,

Nachsicht zu üben, – dies sei deine Antwort!


Es wird allgemach heller.


LUTHER indem er sich bekreuzt.

Du hast den Teufel, Bruder, der dich blind schlägt.

Du willst nicht sehn! Du hast nur weiche Milch,

Die du wie'n Säugling ziehst und glucksend schluckst,

Fein satt und dicklich dich zu trinken. Trinke!

BRUDER JOHANNES.

Der hier nicht sehen will, bist du, Mönch Luther!

Der hier den Abstieg tut, sehenden Blicks

Die Höhe streift und sich verkehrt und wegsieht!

Du siehst zu dir, drum willst du in die Tiefe.

Du blickst vom Glanz fort, darum wirst du glanzlos.


Er geht ruhig rechts hin.


LUTHER zurückbleibend, sieht ihm nach.

So einer war der Schächer wohl am Kreuze,

Der unsern Herrn gelästert. Armer Christus,

Da Deine Kirche schläft, muß Luther wachen!

Höchst armer Christus, Luther muß Dich kleiden!

O nackter Christus, Luther muß Dich letzen!


Indem er langsam nach rechts abgeht.


Doch heute les ich nicht die heilige Messe!

Zum Trotz den Hunden, die ihr Passa kläfften!

Soll Christi Ehre wieder sein geschändet?

Heut bleib ich fort, ihr mögt nur nach mir ausschaun!

Der Luther kommt nicht und ihr habt das Nachsehn.


Er geht. Man hört noch das milde Schüttern der Osterglocken, die hoch oben zu klingen beginnen.


Quelle:
Reinhard Johannes Sorge: Werke in drei Bänden. Nürnberg 1964, S. 242-250.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon