b) Die Geiß und der Wolf.
(Unterfranken: Schweinfurt.)

[21] Vom Wolf und di siebn Geißli. Es war emal e alte Geiß, di hat 7 junge Geißli ghabt. Un da is se fort un hat gsagt: »Kinderli, ich geh jetz fort un bring euch grüns Gras un gelbs Gras un en dickn, dickn Milchsack; aber macht die Tür schön zu un laßt niemand rein.«

Un nach ere Weil is der Wolf komme un hat gsagt: »Kinderli, macht auf, euer Mutter is da und bringt euch grüns Gras un gelbs Gras un en dickn, dickn Milchsack!« Aber di Geißli habn gsagt: »Nee, du bist unser Mutter nit; unser Mutter hat kei so e grobe Stimm.«

Da is der Wolf widder in n Wald getrappt un hat Honig gfressn, damit sei Stimm sanfter worden is. Un danoch is er wieder zum Haus un hat wieder gerufen: »Kinderli, macht auf, euer Mutter is da und bringt euch grüns Gras un gelbs Gras un en dickn, dickn Milchsack!« Aber die Geißli habn gsagt: »Lang emal dei Pfoten rein!« Und wie se se gsehn habn, habn se gesagt: »Nee, du bist unser Mutter nit; unser Mutter hat kei so schwarze Pfotn.« Da is der Wolf zum Müller getrappt un hat sei Pfotn ins Mehl getaucht, damit se weiß worden is. Und danoch is er wieder zum Haus un hat wieder gerufn: »Kinderli, macht auf, euer Mutter is da un bringt euch grüns Gras un gelbs Gras un en dickn, dickn Milchsack!« Un da habn di Geißli sich die Pfotn zeich laß; un doch habn se gsagt: »Ach nee, ach nee, mer machn nit auf!« Aber s Kleine war es vorwitzige, das hat aufgemacht. Un da is auch[21] glei der Wolf rei un hats mit Haut un Haar verschlunge. Un di andre haba sich versteckelt: eins is ins Bett rei, s andere in offene Schrank, s dritte is ins Ofeloch, s vierte untern Kommod, s fünfte in n Tischkastn, s sechste, das war klein, des is neis Uhrkästle gekrochen. Un der Wolf is widder fortgetrappt. Un e Weil drauf is di Mutter komme. Di hat glei gemerkt, daß was los is, weil di Tür auf war un die Geißli nit zu sehn warn. Un da hat se geweint un hat gsagt: »Kinderli, wo seid er denn? euer Mutter is da un bringt euch grüns Gras un gelbs Gras un en dickn, dickn Milchsack.« Un erscht habn sich die Geißli nit raus gedraut; aber endlich sin se nachenander komme: eins ausm Bett raus, s andere ausm Schrank, s dritte ausm Ofeloch, s vierte unterm Kommod vor, s fünfte ausm Tischkasten, s sechste ausm Uhrkästle. Un nacher habn ses der Mutter erzehlt un habn alle recht geweint. Da is grad der Jäger am Haus vorbei un hats ghört un hat gfragt: »Was habt ihr denn, Frau Geiß?« Un da hat se ne ihr Leid geklagt. Un da is er in Wald gange; da hat er en Wolf scho von weitem schnarchen hörn. Da is er bei un hat sei groß Messer genomme un hat em den Bauch aufgschnittn. Da is es Geißle gsund un munter rausghüpft. Un danach is di Geiß heim un hat Nadel un Faden gholt un da habn se den Bauch widder zugflickt un Kieselstein un Strohwisch neigsteckt. Danach sin se widder fort.

Nach ere Weil is der Wolf aufgewacht un hat Duerst ghabt un wollt zum Brunne geh. Un beim Gehn sin di Stein aneinander gschlagn. Da hat er gsagt: »Was rumpelt un bumpelt in meinem Bauch, hab i doch e jungs Geißle verschluckt un jetz is mersch, als ob i lauter Kieselstein un Strohwisch drin hett.« Un da hat er si gebückt un wollt drink un er hats Gleichgewicht verlorn, weil di Stein nach vorn gekugelt sin, un is in Brunne gfalln un ertrunken.

Un der Jäger un di alte Geiß un di siebn junge Geißli habn von fern zugsehn un habe nacher am Brunne rumgetanzt.

Un wen se no net gstorbn sin, so lebn se heut no.


Aufgeschrieben durch Herrn F. Beyschlag aus Schweinfurt, (damals) stud. philol., nun Gymn.-Rektor in Kusel, Pf.; dem Verein übergeben am 23. 9. 1896. (Urschrift.)

Quelle:
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Würzburg 1914, S. 21-22.
Lizenz:
Kategorien: