Der Aufbruch

[127] Einmal schon haben Fanfaren

mein ungeduldiges Herz blutig gerissen,

Daß es, aufsteigend wie ein Pferd,

sich wütend ins Gezäum verbissen.

Damals schlug Tambourmarsch

den Sturm auf allen Wegen,

Und herrlichste Musik der Erde

hieß uns Kugelregen.

Dann, plötzlich, stand Leben stille.

Wege führten zwischen alten Bäumen.

Gemächer lockten.

Es war süß, zu weilen und sich versäumen,

Von Wirklichkeit den Leib

so wie von staubiger Rüstung zu entketten,

Wollüstig sich in Daunen

weicher Traumstunden einzubetten.

Aber eines Morgens

rollte durch Nebelluft das Echo von Signalen,

Hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Es war

wie wenn im Dunkel plötzlich Lichter aufstrahlen.

Es war wie wenn durch Biwakfrühe

Trompetenstöße klirren,

Die Schlafenden aufspringen und die Zelte abschlagen

und die Pferde schirren.

Ich war in Reihen eingeschient,

die in den Morgen stießen, Feuer über Helm und Bügel,

Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht,

mit vorgehaltnem Zügel.

Vielleicht würden uns

am Abend Siegesmärsche umstreichen,[128]

Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt

unter Leichen.

Aber vor dem Erraffen

und vor dem Versinken

Würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt

und glühend trinken.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 127-129.
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