Der buckliche Liebling.

[105] Ein Sultan zu Bagdad hatte einst einen kleinen Bucklichen an seinem Hofe, den er über alles liebte. Eines Abends ging dieser, sein Liebling, am Ufer des Flusses umher und kam zu der Hütte eines Fischers, der mit seiner Frau bei einer Schüssel gesottener Fische, die ihnen zur Abendmahlzeit dienen sollte, saß. Der Buckelichte war durch den Spaziergang hungrig geworden und setzte sich zu den Leuten, um an ihrem Mahle Theil zu nehmen. Unglücklicherweise blieb ihm aber eine große Gräte im Schlunde sitzen und er erstickte, ehe die erschrockenen Fischer Hülfe herbeischaffen konnten. Sie waren ausser sich vor Schrecken über diesen Vorfall, wohl wissend, daß er der Liebling des Sultans war. Endlich ersannen sie etwas, wodurch sie hofften den Leichnam los zu werden, ohne daß der Verdacht, er sei bei ihnen gewesen, auf sie fiel. Sie warteten bis die Finsterniß der Nacht ihrem Vorhaben zu Hülfe kam, dann trugen sie den Todten bis an das Haus eines Arztes, lehnten ihn an die Hausthüre und läuteten an. Auf die Frage wer da sey? antworteten sie,[106] ein Kranker warte an der Thüre auf den Arzt. Dieser eilte und öffnete so rasch die Hausthüre, daß der daran lehnende Buckliche hart zur Erde niederfiel. Der Fischer war mit seiner Frau unterdessen davon gelaufen, und der Arzt der sogleich den Liebling des Sultans erkannte und sich für den Mörder desselben hielt, war in der größten Angst darüber. Er zog seine Frau zu Rathe und beide beschlossen, den Todten in der Stille fortzuschaffen. Sie schleppten ihn mit vieler Mühe auf das Dach eines Hauses, das ein jüdischer Geldwechsler bewohnte, und ließen ihn durch den Schornstein in das Haus fallen. Er kam mit vielem Geräusch in das Kamin herab. Der Jude, der eben mit dem Zählen seiner Schätze beschäftigt war, erschrack nicht wenig über den unvermutheten Besuch. Ein Dieb, so glaubte er, wolle durch das Kamin sich einen Weg zu seinem Geldkasten bahnen, und eiligst zog er ihn bei den Füssen hervor und schlug mit einem dicken Stock unbarmherzig auf den Räuber los. Aber dieser regte sich nicht, und als er ihn genauer ansahe, entdeckte er in ihm den Liebling seines Herrn. Tödlich erschrocken rief er seine Frau herbei und mit ihrer Hülfe trug er ihn auf dem Markt und lehnte ihn an eine Bude. Als es Tag geworden war, und ein jeder an sein Geschäfte ging, stieß ein[107] vorübereilender christlicher Kaufmann zufällig an den Hingelehnten und dieser fiel zur Erde. Die Umstehenden erkannten ihn sogleich und behaupteten: der Christ habe ihn absichtlich umgeworfen und dadurch getödtet. Man fiel über den Unschuldigen her und brachte ihn mit großem Geschrei vor den Sultan, der im höchsten Zorn den Befehl ertheilte, den Mörder augenblicklich zu erhängen. Schon war alles bereit ihn aufzuknüpfen, und der Kaufmann erwartete mit Todesangst den letzten Augenblick seines Lebens, als der Jude mit seiner Frau herbei eilte, sich dem Sultan zu Füssen warf und als den Mörder des Buckelichen, der nach seiner Meinung einen Scherz mit ihm hatte treiben wollen, anklagte. Der Sultan sprach den Christen frei und befahl den Juden zu hängen. Man machte Anstalt dazu, als der Arzt herzu gelaufen kam und sich als den Thäter angab. Sogleich wird der Jude frei gelassen und der Arzt sollte hingerichtet werden. Man legte ihm schon den Strick um den Hals, als der Fischer nebst seiner Frau erschien, und das Vorgefallene bekannte. Der Sultan hörte voll Erstaunen auch diesen an und rief endlich, der Buckliche solle ohne weitere Untersuchung begraben werden, und die sich Anklagenden und Angeklagten könnten ruhig nach Hause gehen, es möchten sich[108] sonst noch Mehrere finden, die sich als die Mörder des Todten anzeigten.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 105-109.
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