Sechszehnter Auftritt.

[68] Die Vorigen. Gotthold und Sichel an der Thür links.


ROSALIE für sich.

Wir vollenden nach Verlangen,

Wenn sie sich nur nicht läßt fangen,

Unsern angelegten Plan!

CLAUDIA für sich.

Hier ist etwas vorgegangen.

Laß nun sehn, wie ich sie fangen

Oder überweisen kann!

LEONORE für sich.

Wüßte sie, was vorgegangen,

Oder könnte sie mich fangen,

Welch Getöse fing sie an!

GOTTHOLD UND SICHEL die Thür ein wenig offen haltend, für sich.

Wir vollenden nach Verlangen,

Lassen sie sich nur nicht fangen,

Unsern angelegten Plan!

Claudia welche bald die eine, bald die andere mißtrauisch beobachtet hat, erblickt plötzlich den Heiratskontrakt, der aus Leonores Tasche hervorsieht, läuft hinzu, reißt ihn heraus und liest ihn, indem sie an Rosalie vorüber nach rechts vorn

tritt.

[68] Rosalie tritt ängstlich Leonore näher.


ROSALIE UND LEONORE für sich.

O weh! was ist zu machen?

Nun hilft kein Leugnen mehr.

Rosalie tritt hinter Claudia weg, dieser zur Rechten.


CLAUDIA.

Ei! Ei! allerliebste Sachen!

Nun hilft kein Leugnen mehr!


Pause. Nachdem sie beide scharf fixiert hat, mit pathetischen Schritten zu Leonore.


Wie kommt die Schrift hierher?

ROSALIE.

Ich will es Ihnen sagen.

CLAUDIA zu Rosalie.

Du sollst dich gar nicht wagen.

ROSALIE läßt sich nicht stören.

Sie sah, wie Sie schon wissen –

CLAUDIA zu Leonore.

Du hast kein gut Gewissen –

ROSALIE.

Vorhin beim Schlafengehn

Was an der Thüre stehn.

CLAUDIA mit erhobenen Händen.

Hat man so was gesehn!

ROSALIE.

Herr Krautmann war es eben,

Er wollt' die Schrift ihr geben –

CLAUDIA zu Rosalie.

Es kostet dich dein Leben –

ROSALIE.

Sie lief ganz ängstlich fort –

CLAUDIA wie vorher.

Sprichst du nur noch ein Wort!

ROSALIE.

Er folgt' ihr bis hierher –

CLAUDIA wie vorher.

Schweig still! kein Wort sprich mehr! schweig still!

Leonore tritt langsam und unauffällig hinter Claudia und Rosalie weg, Rosalie zur Rechten.


ROSALIE.

Er folgt ihr bis hierher –

CLAUDIA.

Schweig, kein Wort sprich mehr, schweig still!

ROSALIE immer schneller.

Und bat sie auf den Knieen,

Mit ihm gleich zu entfliehen!

Sie hörte ihn nicht an,

Allein was wagt ein Mann!

CLAUDIA.

Schweig still!

ROSALIE.

Ich jagt' ihn fort, doch er

Warf diese Schrift daher.[69]

CLAUDIA.

Schweig still!

ROSALIE.

Wir hätten sie zerrissen,

Und wollten gar nicht wissen –

CLAUDIA.

Schweig still!

ROSALIE.

Was etwa drinnen steht. –

CLAUDIA voll Galle.

Wie ihr das Mäulchen geht!

ROSALIE wie vorher.

Allein Sie kamen eben!

Voll Zittern und voll Beben

Verbarg sie es so schön,

Wie Sie nun selbst gesehn.


Sie tritt zu Leonore.


CLAUDIA nach einer Pause, sie nachäffend.

Du bist doch nun wohl fertig,

Und etwa gar gewärtig,

Daß ich dir glauben soll?

ROSALIE.

Jawohl!

CLAUDIA.

Du kecke Lügnerin!


Sie giebt Rosalie eine Ohrfeige und tritt dann nach hinten, wo ihr die Eintretenden begegnen.


Apotheker Stößel und Hauptmann Sturmwald kommen betrunken durch die Mitte.


Quelle:
Karl Ditters von Dittersdorf: Doktor und Apotheker. Dichtung von Stephanie dem Jüngeren, Leipzig [o. J.], S. 68-70.
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