Sechster Auftritt.

[52] Gotthold in der Laube versteckt. Stößel in der Apotheke rechts. Sichel an der Eingangsthür zur Apotheke. Dann Apothekerlehrling Marx.

Nr. 6. Terzett.


SICHEL klopft an die Eingangsthür zur Apotheke rechts hinten; mit verstellter Stimme.

Holla, holla, aufgemacht!

Laßt mich nicht zu lange weilen;

Denn ich muß aufs schnellste eilen,

Darum hurtig, aufgemacht! –

STÖßEL innen.

He! he! wer lärmt so an der Thür?

SICHEL.

Wohnt nicht Meister Stößel hier?

STÖßEL reißt das Fenster über der Laube auf.

Meister Stößel! Meister Stößel! Welch Erfrechen!

Mit mir wagt man so zu sprechen,

Wie mit einem Handwerksmann?

SICHEL.

Machen Sie kein solch Getöse,

Denn ich mein' es nicht so böse,

Hören Sie mich lieber an!

GOTTHOLD für sich.

Unsre Absicht geht verloren!

STÖßEL.

Fort! Fort! und laßt mich ungeschoren!


Er macht das Fenster heftig zu.
[52]

SICHEL stark schreiend.

Excellentissime!

Et super docte, excellentissime Pharmacopaee!

STÖßEL erleichtert das Fenster wieder öffnend.

Obligatissime, obligatissime,

Quid vis habere, bone amice!


Er schließt das Fenster wieder.


GOTTHOLD für sich.

Ha, nun wird mir wieder leicht,

Nun wird unser Zweck erreicht!

Pause.

Stößel kommt von rechts hinten aus der Apotheke.


SICHEL zu seiner Linken.

Eben hat mein Herr vernommen,

Welch ein großer Mann Sie sind,

Daß Hippokrates ein Kind,

Ohne alle Schmeichelei,

Gegen Sie im Wissen sei.

STÖßEL sich verbeugend.

Gratias – mein lieber Herr!

SICHEL.

Eilends schickt er mich nun her,

Bittet Sie, zu ihm zu kommen.

STÖßEL.

Sogleich! Sogleich! Wer ist Sein Herr?

SICHEL.

Es ist der fremde Kavalier,

Er wohnet gar nicht weit von hier.

STÖßEL.

Nur voran! Ich komme gleich!

SICHEL.

Doch ich bitte, ja zu eilen.

STÖßEL.

O ich will mich gar nicht weilen,

Ich will auch gar nicht weilen!

SICHEL.

Ich bitte, ja zu eilen! –

Servus, doctissime!

GOTTHOLD für sich.

Super stultissime!

STÖßEL.

Obligatissime!

GOTTHOLD für sich.

Super stultissime!

STÖßEL sich verneigend.

Obligatissime!

SICHEL.

Servus, doctissime!

Te expectabimus!

GOTTHOLD für sich.

Te expectabimus![53]

STÖßEL.

Certo, certissimus!

GOTTHOLD für sich.

Te expectabimus, te expectabimus, te expectabimus!

STÖßEL.

Certo, certissimus, certo, certissimus, certo, certissimus!

SICHEL.

Te expectabimus, te expectabimus, te expectabimus!

GOTTHOLD UND SICHEL für sich.

Herrlich, herrlich, o wie schön!

Recht nach Wunsch und nach Verlangen

Läßt der alte Fuchs sich fangen! –

O wie herrlich, o wie schön

Läßt er sich die Nase drehn!

STÖßEL für sich.

Herrlich, herrlich, o wie schön!

Recht nach Wunsch und nach Verlangen!

Ich muß noch als Doktor prangen! –

O wie herrlich, o wie schön

Wird der Doktorhut mir stehn!

Gotthold und Sichel treten beobachtend nach hinten.


STÖßEL vortretend, spricht für sich. Meine neue Methode macht Aufsehen. Sobald ich nur einen einzigen Kranken wiederherstelle, werd' ich in allen Zeitungen berühmt werden, und man wird mir von der Fakultät durch eine Deputation den Doktorhut schicken. Er ruft in die Apotheke rechts hinten. He, Marx! Hut und Stock! Und nimm eine Laterne, und bring' mir das Laxiertränkel, das ich vorgestern für den Kranken präpariert habe, der zwei Stunden darauf gestorben ist. Setz' es übers Feuer und thu' eine Dosis Aloe dazu, dann vermisch' es mit einem Extrakt Coquelicot. Zu sich selbst. Vielleicht hilft's auf diese Art. Man muß nicht verzweifeln. Die Naturen sind nicht gleich; was dem einen ins Grab hilft, kann dem andern auf die Beine helfen. Und ein Laxativ ist nie schädlich, es zeigt der Krankheit den Weg, den sie zu nehmen hat. Wenn der Kranke aber keine Kräfte mehr hat? – Auch dann schadet's nichts. So ein Laxativ lockt gleich einem Vesikatorium die verborgensten Kräfte herbei. Lauter neue Sätze, wovon die Welt bisher nichts gewußt hat.

[54] Nr. 7. Arie.


STÖßEL selbstbewußt.

Galenus und Hippokrates

Sind gegen mich nur Stümper,

Und alle Herren in us und es

Führ'n einerlei Geklimper.

Nur Paracelsus ist mein Mann,

Paracelsus ist mein Mann,

Und wenn ich den erreichen kann,

Dann gute Nacht, gute Nacht, gute Nacht, Doctores!

Dann reiß' ich mich stolz aus dem niedern Gewimmel,

Und glänze vor allen wie Venus am Himmel!

Dann werden sie vor mir sich bücken und drehen,

Und ich werd' verächtlich auf sie herabsehen,

Auf sie herab werd' ich sehn!

Dann Apotheke, gute Nacht,

Dann zier' ich das Katheder!

Von mir lernt dann ein jeder,

Welch seltne und geheime Macht

Ich durch Chemie hervorgebracht!

Dann Apotheke, gute Nacht,

Dann zier' ich das Katheder!

Dann lernet ein jeder,

Welch seltne und geheime Macht

Ich durch Chemie hervorgebracht!

Galenus und Hippokrates,

Und Hippokrates und Galenus,

Und Galenus und Hippokrates

Sind gegen mich nur Stümper,

Und alle Herren in us

Und alle Herren in es,

In us, in es, in us, in es

Führ'n einerlei Geklimper.

Nur Paracelsus ist mein Mann,

Und wenn ich den erreichen kann.

Dann gute Nacht, Doctores![55]

Dann reiß' ich mich stolz aus dem niedern Gewimmel,

Und glänze vor allen wie Venus am Himmel!

Dann werden sie vor mir sich bücken und drehen,

Und ich werd' verächtlich auf sie herabsehen,

Auf sie herab werd' ich sehn!

Dann Apotheke, gute Nacht,

Dann zier' ich das Katheder!

Von mir lernt dann ein jeder,

Welch seltne und geheime Macht –

Apothekerlehrling Marx kommt mit einer brennenden Laterne, einer großen Medizinflasche, Hut und Stock von rechts hinten aus der Apotheke.


STÖßEL nimmt Hut und Stock und fährt ohne Pause fort.

Ich durch Chemie hervorgebracht!

Dann Apotheke, gute Nacht,

Dann zier' ich das Katheder!

Dann lernet ein jeder,

Welch seltne und geheime Macht

Ich durch Chemie hervorgebracht,

Hervorgebracht, hervorgebracht, hervorgebracht,

Hervorgebracht, hervorgebracht!


Er verschließt seine Eingangsthür und geht mit seinem Lehrling Marx ab nach links vorn.


Quelle:
Karl Ditters von Dittersdorf: Doktor und Apotheker. Dichtung von Stephanie dem Jüngeren, Leipzig [o. J.], S. 52-56.
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