4. Seiner Liebe Anfang

[26] 1.

Als ich auf meiner Liebsten Mund

(ach sanfte Ruhstat!) brünstig lage

und meiner Schmerzen herbe Plage

ihr täht' auß ganzem Herzen kund/

wie ich so oft um ihrentwegen

Ruh- trost- und Sinnen-ohn gelegen.


2.

Mein (sprach sie) Herzgen/ sage doch:

zu welcher Zeit du bist entbronnen/

und wodurch du mich lieb gewonnen:

Wo ich mich recht entsinne noch/

hastu/ auch gar für wenig Wochen/

kalt-sinnig dich mit mir besprochen:


3.

Da ich doch/ als zum ersten mahl

ich dich nur obenhin erblikket/

durch deine Freyheit blieb bestrikket.

diß war nur meine gröste Qvaal/

die auch die Götter kan betrüben/

dich sonder Gegen-Liebe lieben.


4.

Gott weiß/ wie mir zu muhte war

auf die so unverhoffte Frage/

vermischt von Zorn/ Verweiß und Klage[26]

die meinen Undank machten klar!

Die Schaam/ so ich daher empfunde/

nahm Red' und Antwort meinem Munde.


5.

Ich ward verstarret/ kalt/ erblaßt/

wie/ dem die Seele kaum sich reget:

biß/ auß Erbarmnüß sie beweget

mich in die schlanken Arme fasst'/

Ach! da ward mir gemach das Leben/

Kraft/ Geist und Wärme wieder geben.


6.

Im küssen fing sie an noch mehr

mich bey der Fakkel zubeschweeren

die unser' Herzen kan versehren:

Sag an (bistu mir gut) wann ehr

du angefangen mich zu lieben/

und waß darzu dich erst getrieben.


7.

Ach! frage nicht nach meiner Gluht/

(sprach ich/ was frischer) Eyß und Winde

sind meiner Flammen Angezünde.

Du weist es wie auf jener Fluht/

von kalter Norden-luft gestanden/

ich lag in deiner Arme Banden.


8.

Wie ich dich von dem Wagen nahm

und küßte die gefrorne Wangen:

Bald hat mein Herze Gluht gefangen.

Das Feuer/ so auß Kälte kahm

straalt sint der Zeit mit tausent Flammen

ob meines Lebens Rest zusammen.
[27]

9.

Nun (sagt sie) hat ein kalter Kuß

dich bracht in Feuer/ Hizz' und Leiden;

weiß ich/ daß Kühlung/ Lust und Freuden

ein Warmer dir erwekken muß.

Der hat sie mir so viel erteilet/

so/ daß ich ziemlich bin geheilet.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 26-28.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon