3. Liebe/ Sinnen-raub

[85] 1.

Mein Lieb baht mich in einen Garten

wo der verliebte Westenwind

der Floren pfleget auffzuwarten

die Lufft war fahl/ Apollens Kind/

der Tag begunnte gleich zu sterben

und seine Schönheit zu verfärben.


2.

Kaum war ich dar hinein gegangen/

so neigte sich der Sternen Heer/

Diktinna bläßte Licht und Wangen

und Hesperus wich in das Meer.

Der schwarze Schatten wurd' erhellet

und in den göldnen Tag verstellet.


3.

Warum? Rosille/ meine Wonne/

kahm durch den grünen Busch herein/

Ihr hätte selbst die klare Sonne

gewichen und den Demant-schein/

durch ihre Straalen überwogen

auß Schaam mit Wolken-tuch umzogen.


4.

Die Venus ging in ihren Schritten/

Aglajen war ihr Außsehn gleich/

Es straalt' auß ihren holden Sitten

des Amors ganzes Königreich:

Lust/ Liebe/ Freundligkeit und Leben

den treu-verliebten nur gegeben.
[86]

5.

Sie rührte mit den Seiden-Händen

mich/ ihren Lieben/ sachtlich an.

Ich glaube nicht/ daß in den Bänden

des Himmels mehre Lust sein kan.

Mich dünkt/ ich fühle noch verzükket/

wie sie an ihre Brust mich drükket.


6.

Ach Schau-plaz aller Liebligkeiten/

erhabne Brust/ der Götter Saal/

wo Freud' und Schönheit sich begleiten

und du/ du süsses Liljen-Tahl/

wie gern wolt' ich in deinen Gründen

Adonis gleich mein Ende finden.


7.

Sonst weiß ich weiter nicht zusagen

was mir ihr süsser Zukkermund/

damahl auß Liebe fürgetragen.

Euch Bäumen nur/ euch ist es kund/

euch ist es kund ihr Blumen-Matten

die ihr es hörtet durch den Schatten.


8.

Die Lust/ so überhäufft sich findet/

benimmt uns des Gedenkens Krafft.

Ie mehr sich Amors Gluht entzündet

ie mehr Verstand wird hingerafft.

Mein Sinn war dunkel/ gleich den Blinden

und kunte sich in sich nicht finden.


9.

O süsser wahnwiz! ach! wie gerne/

wolt' ich noch iezt so rasend sein.[87]

Diß ist die Seeligkeit der Sterne

und aller Götter insgemein:

daß sie in Wollust so verführet

nicht merken/ wenn sie Schmerzen rühret.


10.

Nu ich bin meiner Sinnen Meister/

und weiß es was mich labt und kränkt:

betrüben sich die Lebens-Geister/

die Seel' ist wie in Turn versenkt/

den Turn/ wo Einsamkeit/ wo grausen

und nichtiges Verlangen hausen.


11.

Nur trösten mich die Freuden immer

die ich bey Rosilen gehabt.

Du Lust-Ort des Priapus Zimmer/

dein Blumwerk müsse sein gelabt

dafür/ mit ewig warmen Lenzen

und angenehmen Sonnen-glänzen.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 85-88.
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