Sechster Absatz

[76] Macarie wanket / zwischen Freyheit und Liebe /spaziret ins Feld / und entschliesset sich vor die letzere. Ihre Baum-Schrifft hiervon / und das Gespräche hierüber mit dem Eusephilistus / der darzu gekommen. Sie bekommt das Schreiben des Polyphilus / ängstet sich darüber / und tröstet ihn mit einem Antwort-Brieflein. Agapistus beruhigt inzwischen sein Gemüte / und entschleust sich / der bekehrte Schäfer zu werden.


Nun wollen wir unserem Gefangnen noch eine kleine weile die Gedult befehlen / biß wir sehen / was Macarie vorgenommen. Dieselbige empfande / nach dem sie an den Polyphilus geschrieben / einen stetigen Streit in ihrem Gemüte / zwischen Zorn und Gunst /zwischen Tugend und Liebe / und war ungewiß / welchem von diesen beyden sie sich gefangen geben solte. Dann ob gleich die Vernunfft der Tugend beystunde / und ihre Stärcke vermehrte: so unterstunde sich doch das Gedächtnus / der Liebe so heimlich die Pforten zu öffnen / und den Willen so subtil auf ihre Seiten zu bringen / daß der Sieg immer zweifelhafft stunde /[76] und sich auf keine Seite völlig lenken wolte. Endlich behielt sie diesen Vorsatz übrig / daß sie entweder den Polyphilus / oder gar keinen / zu ihren Liebsten erwählen / solches aber ihme nicht offenbaren / sondern seiner Liebe so lang mit Vorsichtigkeit begegnen / und auf seine Handlungen ein wachsames Aug behalten wolte / biß sie sehe / wohin selbige ausschlagen würden / wornach sie dann ihre Meynung richten / und entweder eine ehliche Verbündnus / oder ewige Einsamkeit beschliessen könte.

In solchem Vorsatze verfügte sie sich / als einst der Himmel der Erde einen viel angenehmern Tag geschenket / als bey damals-angehender Winter-Zeit zu hoffen war / auf das Feld: der Lieblichkeit des Wetters / von welchem man keine Beharrlichkeit fordern kunte / zu geniessen / und nach so lang verkerkerter Einsamkeit / frische Lufft zu schöpffen. Sie gienge /nach ihrer Gewonheit / von niemand als ihren Gedanken begleitet: betrachtende / bey den tod-färbigen falben Feldern und kahlen Bäumen / die Unbeständigkeit der Natur / und aller derer Dinge / welche ihr unterworffen sind. Diese Felder / (sagte sie bey ihr selbst) die vor wenig Monaten gleichsam mit den schönsten Tapeten belegt waren / scheinen nun erstorben; und die Bäume / die mit ihren grünen Haaren /den Hirten Schatten / und dem Geflügel Wohnung gegeben / stehen entlaubet. Auch der Himmel / welcher heute fast wider die Ordnung der Zeit / sich so schön aufgekläret / mag wohl morgen mit schwartzen Wolken verhangen / und voller Schneeflocken zu sehen seyn. Und dieses ist der Wechsel der Natur / den sie ohn unterlaß in allen Sachen treibet / und dadurch eines[77] auf das ander untergehen / dieses wachsen und jenes verderben / heisset. Wie töricht handeln dann wir Menschen / wann wir vermeinen uns solcher Ordnung zu entziehen / von der Natur auszuschliessen /und in stets-wärendem Wolstande zu leben! da doch alles / was wir an und unter dem Himmel sehen / von dieser Veränderung getrieben und erhalten wird.

Und warum kommet dann auch mir (fuhre sie fort) so entsetzlich vor / daß ich / wegen der Liebe zum Polyphilus / einige Widerwärtigkeit dulten muß? welche Rose wird ohne Dornen / und welche Liebe wird ohne Schmertzen gefunden? Nicht allein die Liebe / sondern auch alles andere / träget einen verborgnen Unlust bey sich / und ist nichts so angenehm / daß nicht einen heimlichen Verdruß mit sich führet. So gar auch die Einsamkeit selbsten / welche ich doch seithero /als eine Besiegerin der Furcht und Hoffnung / verehret / kan dem Namen der Eitelkeit und des Elendes nicht entfliehen: sondern muß bald an aufrichtiger Freundschafft / bald an notwendiger Beschützung /Mangel leiden. Es hat ja die edle Liebe / welche vor der Zeit gewesen / und nach der Zeit seyn wird / Natur und Welt erschaffen / und alles / was gewesen / was ist / und was kommet / wird durch ihre Krafft unterhalten. Diese / wann sie nicht eine unkeusche Brunst törichter und lasterhaffter Gemüter / sondern eine reine Entzündung der Hertzen ist / welche sich auf die Vernunfft gründet / und von der Tugend begleitet wird / mag so dann billig eine heilige Bewegung und himmlische Eigenschafft genennet werden. Und ob man gleich / bey solcher / gleich wie auch bey andern Tugenden[78] / viel Anstöße leidet: so soll man sich doch deßwegen an so löblichem Beginnen nicht hintern lassen. So lang nun auch Polyphilus der Tugend nachfolget / soll mich keine Verdrießlichkeit von seiner Liebe trennen: Ob ich gleich dieses verheele / damit er von Sicherheit abgehalten werde. Dieses waren damals der Macarie Gedanken / welche sie dem Baum /darunter sie stund / anvertrauet / und mit diesen Versen in seine Rinde schnitte.


1.

Dieses grosse Rund der Erden / samt dem schönen Himmels Liecht /

Hat die Liebe zugericht.

Alles / was man sihet nur / ist aus Liebe hergeflossen /

Und von diesem Gut entsprossen /

Dessen Krafft die gantze Welt

Durch die Lieb verbunden hält.


2.

Daß das grosse Heer der Sternen / von der übermühten Nacht /

Täglich wird hervor gebracht;

Daß der Silber Mond entweicht / wann der güldne Sonnen-Wagen

bringt den Tag hervor getragen;

Daß der Elementen Streit

Nicht zerstört die Einigkeit;


3.

Daß sich füget naß und trocken / Kält und Wärme sich gesellt;

Daß der Lentz bestreut das Feld /

Mit der bunten Blumen Zier; daß des Sommers heisse Stralen /

Dörren das Getreyd / zum mahlen;

Daß der Herbst uns bringet Speiß /

Und der Winter Kält und Eis:


4.

Diese Ordnung hält die Liebe / als am Zügel / in der Hand

Vest verknüpfft mit ihrem Band.[79]

Solte sie / nur einen Tag / die Verwaltung fahren lassen /

So würd alsbald Streit und hassen

Unter diese reissen ein /

Die so stark verbunden seyn.


5.

Darum seelig sind die Menschen / wann sie diese Liebe führt /

Die des Himmels Bau regirt.

Laß mich auch / O Herrscherinn! stäts geniessen deiner Gnaden /

Und laß mir kein Ubel schaden.

Halt / mit deiner starken Hand /

Vest ob meinem Liebes-Band.


Eben hatte sie diese Arbeit verfärtigt / und wolte weiter gehen / als sie von fern jemand reden hörte. Nachdem sie sich umgesehen / befande sie / daß es Eusephilistus / mit noch zwey andern von Soletten wäre: welche gleichfalls / dem Wetter zu gefallen / einen Spazirgang erwehlet hatten. Macarie / wie sehr sie über dieser Ankunfft erschrocken / muste doch / weil sie seinen Augen nicht mehr entweichen kunte / ihm entgegen gehen: solches thäte sie um so viel geschwinder / weil sie dadurch verhoffte / den Eusephilistus von dem Baum und ihrem Gedichte abzuleiten. Aber dieses war vergebens: weil Eusephilistus sie /nach Art der Verliebten / viel eher / und also noch im Einschneiden / ersehen hatte. Eilete er demnach stark auf sie zu / und als er sie freundlich empfangen / sagte er: So glükseelig / schönste Macarie! als ich ietzt bin / zu werden / hätte ich mir heute nicht zutrauen dörffen. So haben wir beyde (versetzte Macarie) dem gütigen Himmel vor einen anmutigen Tag zu danken. Ich danke demselben / (antwortete Eusephilistus) nicht nur vor den erwünschten Tag / sondern auch[80] vor Macarien erfreuliche Gegenwart: dafern ich nur nicht /durch meine verdrießliche Gesellschafft / ihre Gedanken verstöre!

Allzuwahr! gedachte Macarie / sagte aber wieder ihm: Meine Gedanken können wohl so lang zu rücke stehen / biß ich müsige Zeit habe / ihnen Gehör zu geben / und sind so notwendig nicht / daß sie mich von eines Freundes Gespräch abhalten solten. Aber wohl so heimlich / (widerredte Eusephilistus) daß man sie nicht offenbaren wird / es sey dann / daß jener Baum aus der Schul schwatze. Macarie / als sie sahe / daß sie verrahten war / gab zur Antwort: Wann sie heimlich wären / würde ich sie keinem Baum vertrauen / der sie jederman vorzeiget. Und weil ich sie öffentlich geschrieben / als werde ich keinen das Lesen verbieten. So bedanke ich mich dann / vor die günstige Erlaubnus! versetzte Eusephilistus / und gieng damit / wie ungern es auch Macarie sahe / zu dem Baume / und sagte / nachdem er die Verse gelesen: Das ist eine freye Bekäntnus / kluge Macarie! Aber wer ist der Glückseelige / welcher sie in seinem Liebes-Band führet? Macarie fieng an zu lachen / und sagte: das weiß ich selbsten nicht! Es ist diese Arbeit nicht mein / sondern ein fremdes Gedicht / welches ich jüngst ungefehr gelesen / und theils zu erfahren /ob ich es völlig behalten / theils auch die Zeit zu vertreiben / allhier eingeschnitten habe.

Wann gleich dieses wäre / (begegnete ihr Eusephilistus) wie ich ihr dann alles gern zu gefallen glaube: so erscheinet doch / daß sie hieran Belieben getragen /weil sie es so färtig behalten / und desselben Innhalt Beyfall gibet. Dem gantzen Inhalt /[81] (antwortete Macarie) gebe ich Beyfall / biß auf die letzten Zeilen: welche ich dem Dichter nicht ändern oder nehmen dörffen / ob sie mich gleich nichts angehen. Und warum hält sie dann (sagte Eusephilistus) ein solches liebes Band vor sträfflich? Zwar nicht vor sträflich / (redte Macarie dagegen) doch vor sehr bedenklich: sonderlich bey mir / die ich in dem Gelübde einer stetigen Einsamkeit stehe. Findet sie dann / (fragte Eusephilistus ferner) in der Einsamkeit solche Ergötzung? Freylich / (war die Antwort Macarie) halte ichs vor ein edles Leben. Ey! (sagte Eusephilistus) so nehme sie mich dann auch in ihre Einsamkeit / und mache mich solcher Vergnügung teilhafftig. Alsdann würde sie keine Einsamkeit mehr seyn / (versetzte Macarie) sondern eine Gesellschafft werden / die seine Liebste zu eiffern bewegte.

Ich erwähle / (antwortete Eusephilistus) keine Liebste / sie gleiche dann der Macarie. Und weil ich eine solche nirgend finde / wird sich entweder Macarie über mich erbarmen / oder ich werde ewig ohne Liebste bleiben. Beedes ist unnötig! (sagte Macarie hinwieder) er ergreiffe das dritte / und erwähle eine vollkommenere / als Macarie ist. Die begehre ich nicht / (begegnete ihr Eusephilistus) und würde sie auch nicht antreffen. Demnach lebe ich der Hoffnung /sie werde / mit diesem rauhen Winter / ihr hartes Gemüt ablegen / und künfftigen Früling / da sich alles zu paaren pfleget / auch meine Liebe glückseelig machen. Ich stelle es dahin: (war Macarien letzte Rede) noch zur Zeit aber habe ich es nicht im Willen. Mit diesen gelangten sie vor ihre Behausung / dahin sie Eusephilistus[82] begleitet hatte: Da sich dann Macarie vor die Ehre der Begleitung bedankte / mit Bitte /ihrem schertzhafften Gespräche zu vergeben; und Eusephilistus / als er sahe / daß sie ihn nicht mit einzutretten nötigte / bate seiner Wenigkeit günstig zu gedenken / und name damit seinen Abschied.

Hierauf verfügte sich Macarie auf ihr Zimmer / und fande daselbst den Boten mit des Polyphilus Brief /auf sie warten. Nachdem sie den Brief erbrochen / und über dessen Innhalt nicht wenig erschrocken war /fragte sie den Boten / um des Polyphilus Zustand? Als nun derselbe alle Umstände erzehlte / und wie er / mit jedermans Zeugnus / so gar unschuldig in diese Gefängnus gerahten / fragte sie ferner: wie hat er sich dann / auf meinen Brief / angestellt? Er ist / (antwortete der Bote) nachdem er selbigen durchlesen / in eine so starcke Ohnmacht gefallen / daß man ihn lang vor tod gehalten; und nachdem er mit grosser Mühe /wieder zu recht gebracht worden / hat er eine jämmerliche Klage geführet. Macarie / die dieser Erzehlung mit erschrocknem Gemüte zugehöret / hieße den Boten sich folgenden Morgen bey ihr wieder anmelden / da sie ihm eine Antwort mitgeben wolte. Der Bot bate / daß sie einen Brief schreiben wolte / der ihn frölicher machte / als der erste: welches sie ihm versprache / und ihn damit von sich ließe.

Hierauf überlase sie noch etlichmal das Schreiben /und wurde theils von Liebe / und Mitleiden / theils auch aus Zorn über seine hefftige Anklage / so verwirret / daß sie keine Speise zu ihr nehmen konte /auch nicht wuste / was sie antworten solte. Ich sehe wohl / (sagte sie) daß mein heutiger Vorsatz[83] / um des Polyphilus Liebe willen etwas zu leiden / doppelte Früchte träget / sowohl wegen der verneurten Liebe des Eusephilistus / als auch wegen der hefftigen Anklage des Polyphilus. Wo nimmet aber dieser die Künheit her / mich also härtiglich zu besprechen? Was vor ein lasterhafftes Beginnen gedenket er mir aufzubürden? und um welcher Untreu willen / ruffet er den gerechten Himmel um Rache an? Unbilliger Polyphilus! Ist diß die Belohnung meiner Aufrichtigkeit / daß ihr mich zu einem Fürbilde der Falschheit vorstellet? Ach! so habe ich meine Liebe übel angelegt. Allein / Macarie! du must diesen Brief ansehen /als ein Bild der Verzweiflung / und die Abbitte / die er seinem billigen Eifer zum Beschluß anhänget /etwas gelten lassen. Tobet doch das Unglück so hefftig wider seine Liebe / daß du vielmehr Mitleiden mit ihme haben / als auf der Königin Verhetzung / ihn mit einen so ungedultigen Brief weiter beleidigen sollen. Ach! liebster Polyphilus! wie sehr wird diese ungerechte Gefängnus dein ehr-begieriges Hertz betrüben? daß ich doch dieselbe aufheben / oder vor dich ausstehen könte? Aber was wünsche ich Unmüglichkeiten? Ich will vielmehr versuchen / ob ich dich durch ein Trost-Brieflein aufrichten / gleichwol darbey deine unbillige Anklage straffen / und meine Unschuld verteidigen könne. Dergestalt schwebte Macarie zwischen Zorn und Liebe / und ward bald hieher / bald dorthin getrieben: und in solcher Verwirrung schriebe sie dem Polyphilus diese Zeilen.


Ungedultiger Polyphilus!

[84] Ob ich wohl billich Bedenken trage / euch mit meinen verhassten Briefen zu beunruhigen / in Ansehung /daß dieselbe / nach eurer Auslegung / nichts dann gleißnerische Larven / gefärbte Worte / und entlehnete Freundlichkeit in sich halten: so hat mir doch /theils eure Bitte / welcher ich auch bey eurem Haß nichts versagen kan / theils aber meine nötige Verantwortung / mir dieses Brieflein abgedrungen. Saget mir demnach / mein Polyphilus! womit habe ich euch beleidigt? worinnen habe ich meine Zusage gebrochen? welche Missethat soll der Himmel an mir straffen? Leget mir mein Unrecht vor / und stellet mir mein Verbrechen unter Augen: so soll der Höchste die Strafe / zu welcher ihr mich verdammet / unverzüglich vollziehen; oder ich werde Gelegenheit haben / meinen Fehler zu entschuldigen / oder wann er sich nicht entschuldigen lässet / abzubitten. Haltet ihr mich aller der angestrichnen Falschheit / boßhaften Untreu / und sträfflichen Betrübung / wie ihr mich anklaget / schuldig: Warum unterlasset ihr dann nicht / ein so lasterhafftes Weibsbild ferner zu lieben? Und warum wollet ihr den Namen der Tugend mit ihr verlieren? Sprechet ihr mich aber von solchen Ubelthaten frey / so verübet ihr ja Tyranney / und gebrauchet euch gegen mir einer unverdienten Grausamkeit. Welches ist dann nun meine Sünde? Nehmet ihr meine nötige Vorsorge so empfindlich[85] auf? dörfet ihr mein unschuldiges Schreiben / darinn ich mich nach der Belohnung eurer Tugenden / und Aufhebung aller Widerwärtigkeit gesehnet / mit so zornigen und verhassten Schelt-Worten abstraffen? wie soll ich dann hoffen / daß ihr diese Verantwortung aufnehmen werdet? O du unglückseeliger Brief! mit was zornigem Gesicht wirst du empfangen / und mit was vergalltem Hertzen wirst du gelesen werden? wie werden die onst-schönen Hände /welche auch die allerbeständigsten Gemüter zu festeln und zu binden vermögen / dich in tausend stücken reissen! Aber seyt zu frieden / Polyphilus! und lasset mich mein Verbrechen wissen: was ich euch zugesagt / werde ich unverbrüchlich halten / und sollet ihr von mir / nimmermehr ein Beispiel der Falschheit lernen. Habe ich jemals gesagt / daß ich euch liebe / so sage ichs noch / und werde es allezeit sagen. Ich weiß auch / daß aus meinem Brief das Gegentheil nicht zu erzwingen seyn wird. Daß ich mich aber solche Liebe / mit euch / in Schimpf und Schaden soll verleiten lassen: solches hat eure Höflichkeit nie gefordert /und davon redet mein Brieflein. Aber ich befürchte /mit meiner verdrießlichen Feder eure Gedult zu erzürnen / und euren Haß gegen mich zu häuffen. Will derowegen schliessen / und euer Gedächtnus (dafern ihr anderst demselben erlaubet / in einer vermeinten so lasterhafften Seele zu wohnen) noch ferner zur Versüsserin meiner Einsamkeit wählen. Diese[86] wird offenbar erweisen / daß ich (wider euer ungerechtes Zeugnus) ewig verbleiben werde /

Eure gantz ergebne

Macarie.


Polyphilus hatte inzwischen / auf des Agapistus Erinnerung / und selbst Erkäntnus seines Irrtums / eine gantz andere Art zu leben zu führen angefangen. Dann da er vormahls den Zorn / die Ungedult / Rachgier und Verzweiflung / sich regiren lassen / begunte er anjetzo der Sanfftmut / Freundlichkeit und Zufriedenheit Gehör zu geben / und wuste nicht / wie er dem Himmel gnugsam danken solte / daß er sein Gemüt von diesen aufrührischen Begierden befreyet /und in eine friedsame Sicherheit gesetzt hatte. Wie habe ich (sagte er) bißher in einer gefärlichen Torheit geschwebet / und wie hat die Mutter aller Laster / die höllische Hoffart / meine Sinne verblendet / daß ich das waare Gut eines ruhigen und vergnügten Gemüts verlassen / und hingegen dem betrüglichen Schatten der Ehre und Hoheit nachgetracheet! da doch die Staffeln / auf welchen man zu den Wolken der Herrlichkeit steiget / so gebrechlich / daß ihrer wol zehen den Hals brechen / ehe einer die Spitze erreichet. Und da gleich das Glück einem so geneigt wäre / und / an statt der zerbrochnen Sprössel / seine eigene Hände unterstützte: so wird doch derselbe erst auf den höchsten Hügeln erfahren / daß nicht allein stürmende Winde und allerhand schädliche Lüffte / sondern auch Blitze und Donnerschläge seine hoffärtige Begierden verfolgen / und durch ihre[87] Gewalt zu zerstücken suchen. Das stärckste und beständigste paar Füsse unsers Vorhabens / ist die edle Demut: Je höher sich die Gedanken davon entfernen / je näher sie dem Fall und Unglücke kommen. Wohl dann dem Menschen / der seine Hoffnung weiß einzuschränken / mit dem gegenwärtigen vergnügt lebet / und dem jenigen nicht nachtrachtet / was schwer zu erlangen / und sorgfältig zu erhalten ist! Ich / nachdem ich durch den Fall klüger worden / gelobe / dem gnädigen Himmel / so bald er mich dieser Gefängnus befreyen / und mit meiner Macarie versöhnen wird / alles Verlangen nach Hoheit und Würde aufzuopffern / und nicht allein meine Herde wieder zu führen / deren ich zwar mich durch die sträfliche Verlassung unwürdig gemacht / sondern auch / der Macarie Liebe ferner zu geniessen / in der Solettischen Gegend eine Krufft zu erwehlen / und das jenige / was ich an Tugend und Kunst / mit so grosser Mühe bißher gelernet / in dem ruhigen und glückseeligen Schäffer-Orden zu üben und zu vermehren. In diesen Gedanken griffe er zur Feder / und schriebe nachfolgendes Gedicht.


1.

Wer hat doch des Menschen Geist diesen Irrtum eingegraben?

Und von wannen ist es kommen /

Daß man / da im nidern Stand guten Fried man könte haben /

Mitten in der Zahl der Frommen /

Dennoch / aus verkehrtem Sinne / die Gedanken höher schwingt /

Und / viel grosses zu erreichen / blind in sein Verderben dringt?


2.

Hat dann nicht die erste Zeit / da man lebt in grünen Auen /[88]

Und bey Kräutern an den Flüssen /

Da man weit von Uppigkeit war in schlechter Tracht zu schauen /

Ubertroffen unser wissen?

Alles / was wir zu erfahren reisen über See und Land /

Komt von jenen weisen Alten / und uns lehret ihr Verstand.


3.

Bloß von Hoffart komt es her / daß man sich nicht läst vergnügen.

Diese Pest der eitlen Hertzen

Feüret die Begierden an / daß sie biß zu Sternen fliegen /

Und erwählen tausend Schmertzen.

Sie verblendet das Gemüte / mit dem Glautz der Herrlichkeit:

Biß es / durch den Fall bezwungen / seine Torheit spat bereut.


4.

Besser ist der Hirtenstand und das freye Schäfer-Leben /

Wo die Ruh und Unschuld wohnet.

Hoheit / ist der Sorgen Platz: wer sich diesem Tand ergeben /

Wird mit Unglück abgelohnet.

Laß dem Ehrgeitz Städt und Schlösser! gnug / wann ich die Demut hab.

Kunst und Tugend wird gerühmet / hängt sie gleich am Hirten-stab.


5.

Wird des Himmels Gnaden-Schluß endlich mir die Freyheit schenken /

Und vertilgen diese Straffen:

Will ich / wie ich schon gelobt / mich zur Heerde wieder lenken /

Und fort spielen bey den Schafen.

Deine Wol that / grosser Herrscher! soll verehren mein Gedicht:

Laß mich leben diesen Orden / mit Macarie / verpflicht.
[89]

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 76-90.
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