Neunter Absatz

[89] Beschreibet die Ersäuffung Polyphili / und die daher entstandene betrübte Klagen / der erschreckten Macarien / und was sie vor Nacht-Gesicht betrübet: Lehret an Polyphilo / die der Kunst und Tugend ewig widerstrebende Unglücks-Bestürtzung / von deren bißweilen alle Hoffnung niedergeschlagen wird; an Macarien aber / die selbst nothleidende Tugend.


Aber / O des unglückseeligen Polyphili! wie unbeständig ist doch die Freude der Menschen / welche verdorret ehe sie erwachsen / und umgerissen wird /ehe sie gegründet. Der Lusthoffende Polyphilus gieng in steten Gedancken / wie er wieder zu Macarien kommen / und etwa sein betrübt Verlangen / durch ihre Freud-erweckende Gegenwart / stillen könte / da ihm das Unglück eben eine neue Gruben bereitete /und die Netz der Verhindernus ausspannete / seine Freuden zu fangen / und seine Hoffnung zu vernichten. Dann / so bald er mit Talypsidamo ins Haus trat /befand er sich / mit einer grossen Meng gewapneter Soldaten umringet / die[89] ihn gefangen nehmen / und in die Verschliessung führen wolten. Ein Schwerd vermochte nicht wider so viel zu streiten / und anderer Hülff hatte sich der verlassene Polyphilus / in der Fremde / nicht zu getrösten: Darum muste er sich ihrem Willen / in gezwungener Gedult ergeben. Talypsidamus / wiewol ihm die Sache unbillich vorkam / dorffte doch / vermög seiner Pflicht / nichts wider die Gemeine vornehmen; so war er auch nicht mächtig genug / dem Aufruhr allein zu widerstehen: Doch nahm er sich des Polyphili so viel an / als er vermochte / und forschete die Ursach / mit dem Verbrechen / welches Polyphilum in die Gefängnus werffen solte. Da er nun vernahm / daß die Innwohner der Insul / diesen Polyphilum / vor den fremden Ritter ansahen / welcher den Philomathum / unschuldiger weise / ermordet: sprach er selber Polyphilo zu / daß er sich zu frieden geben / ihrem Befehl nach kommen / und sich auf seine gerechte Sache verlassen solle: versprach ihm auch seine Hülff in allem / und tröstete ihn mit der Versicherung / daß er morgen wieder loß seyn solle. Polyphilus / mit tausenderley Widerwertigkeit geschlagen / dachte alsobalden an den Traum / welchen er vom Philomatho gehabt; an dessen Wort / und an die vergifftete Schlangen / die ihn ins Hertz gestochen / und das Gesicht zerrissen: schloß alsbald dahin / daß dieses die Erfüllung dessen seyn müste. Da er aber der Schlangen gedachte / überfiel ihn eine Forcht / die der Todes-Angst nicht unähnlich war / dadurch er gleichsam sich zum Tode verdammet beförchtete. Forcht und Eyfer rathschlagten miteinander / wie dieser Noth abzukommen. Ins Gefängnus zu gehen / war seiner Großmütigkeit[90] viel zu wider; auch gedachte er / was wird Macarie sagen /wann Polyphilus gefangen ligt? Unter der Rott böser Buben geführet zu werden / verdirbet meine Ehr bey männiglich. In Forcht des Todes zu leben / ist ärger /als stündlich zu sterben: darum war das der letzte Schluß: lieber ehrlich gestorben / als schändlich gelebt. Was geschicht? In sein Schwerd zu fallen / wolte die Gelegenheit nicht leiden / dann die Hüter waren da. Durch ihren Grimm zu sterben / war wieder kein Ruhm. Dann er den Namen nicht führen mochte / als hätte er seine Ehr beschützen wollen gegen denen /die keine Ehre hatten / oder selbige seiner Spitzen gewürdiget: so wär es wieder schändlich gewesen /wann er durch ihre Schärffe hätte fallen sollen. Möchte Talypsidamus sein Unglück mit seinem Leben enden / wäre diß der grösseste Dienst gewesen / den jemals ihre Freundschafft erfordert: doch wolte auch dieses nicht angehen. Darum nahm er ihm vor / weil er sonderlich der Macarien schuldig war / sein Leben entweder mit Ehre zu retten / oder auch ohne Schand zu enden / er wolle sich in das Wasser stürtzen / sey es ihm gnädig / wolle er dem Himmel dancken / ersäuffe es ihn dann / sey er schon zu frieden / wann nur Macarie wisse / daß er ihrentwegen auch seines Lebens nicht geschonet. Der Schluß ist gemacht: Polyphili Arglistigkeit vermochte auch leicht alles nach Begehren zu vollbringen / sonderlich aber diente hierzu das Haus des Schiff-Patrons / von welchem die / so aus und eingehen musten / eine Bruck über das schnell-rauschende Wasser führete / da sich keiner ohne Verlust des Lebens hinein wagen dörffte. Wie machts aber Polyphilus[91] / daß er vor das Hauß heraus komt / ehe er von der grimmigen Rott angegriffen wird? Er wincket dem Schiff-Patron / und bittet /durch die Pflicht ihres Verbündnüs / daß / so er ihm einmal getreu sey gewesen / er dißmal bey den Soldaten auswürcken möge / sie sollen ihm / auf sein Wort / nur biß auf die Brucken erlauben / allda er in geheim etwas von Macarien mit ihm reden wolle / das er befürchte / es möchte allhier nicht verborgen bleiben. Versprach darneben bey Treu und Glauben / daß er mit keinem Fuß die Flucht nehmen / oder nur selbige gedencken wolle; weil ihm ohne das auch unmüglich wäre / ohne Schiff von dieser Insul hinweg zu kommen.

Talypsidamus / sich nichts böses beförchtend /trauete allem dem / und gedachte / Polyphilus würde sich bey Macarien / seiner Gefängnus halber entschuldigen lassen / beredete derowegen die Soldaten / daß sie / auf seinen Glauben / Polyphilum / so weit er begehrte / mit ihm hinaus liessen. Als nun Polyphilus einen gelegenen Ort ersehen / steht er still / und fängt folgender Gestalt an: Treu-geliebter und hertzvertrauter Freund! die Menge der Gutthaten / so ihr mir unverdient erwiesen / kräncket mich freylich jetzo / daß ichs nicht aller Seiten wieder ersetzen kan. Ich weiß doch wol / daß ich sterben muß / und ist ungewiß / ob ich euch / viel weniger Macarien / wieder sehe. Darum / so bitte ich euch / durch aller Götter Erhörung / ja! ich befehle euch / Krafft unsrer Eydverbundenen Pflicht / daß ihr / nach meinem unschuldigen Tod / den die Götter / durch ihre gerechte Rach erweisen werden / bey meiner / ach meiner! ja meiner hertzgeliebten Macarien / ein treuer Zeuge seyd meines Hertzens / welches sie / durch ihre Schönheit / Tugend[92] und Verstand / so fest gebunden hält / daß / so bald diese Seele von meinem Leib scheidet / sie dorten / auf ihrem Schoß / den Ort der Ruhe nehmen wird / und nach meinem Tod geniessen / das ich in diesem Leben / so viel ich mich auch bemühet / nicht erhalten können. Zeuget auch / Vertrauter meines Hertzens! daß mein Geist / nach diesen Tagen / sie zwar offtmals schröcken wird: so bald sie aber ihres Polyphili sich erinnert / und seine ihrentwegen erlittene Noht / ja gar erwählten grimmigen Tod behertziget / sie ihn wieder zu seiner Hölen weisen / und sanfft wird schlaffen machen / so gar begehr ich nichts mehr von ihr / als daß sie meiner gedencke. Ihr aber lebet wol / mit ihr / und rächet meinen Tod /wollt ihr anders sicher leben. Saget ihr auch an / daß ich ihr in diesen meinen letzten Zügen / mehr dann tausend Seufftzer zuschicke / und mehrmals küsse /als ich lebendig hätte hoffen dörffen. Grüsset sie /lebet wol! Mit welchen Worten er sich im Wasser ersäuffte.

Talypsidamus voller Schrecken / wuste nicht / was er machen / wie er helffen / wo er rathen könte. Die erzürnte Soldaten drungen mit grosser Macht auf ihn zu / und forderten ihren Gefangenen: Der aber hub an sich zu verschweren und verfluchen / daß er unschuldig wäre an diesem Tod / und daß er nichts davon gewust. Verschaffte derowegen alsbald / daß ihrer etzliche zu Schiff sitzen / ihm nachsetzen / und den todten Cörper aus den Wellen hervor ziehen solten. Es mochte auch der Innwohner Grimm und Zorn nicht so groß seyn / daß sie nicht alsobald zum Mitleiden bewegt / ihre That bereueten: aber Talypsidamus beweinte seinen Polyphilum / und kunte sich nicht trösten.[93]

Die geschwinde Fluth der durchdringenden Wellen bedeckten den Polyphilum / daß man ihn nicht mehr sahe / und ob ihn der Schiff-Patron 3. gantzer Tag lang suchen ließ / konte er ihn doch nicht erlangen. Deßwegen er hoch bestürtzt / sich wol wunderte über die Künheit Polyphili / und wie er / seine Ehre zu retten / den Tod nicht gefürchtet: aber auch wegen der frechen That / und daß er so einen guten Freund verlohren / sich hertzlich bekümmerte.

Der Abschied / den er von ihm genommen / nötigte den Schiff-Patron / daß er zur Macarien gehen / und seine Pflicht beobachten muste. Diese / so bald sie erfuhr / was da geschehen / und wie sie Ursach wäre an dem allein; ja! daß er sie hertzlich geliebt / und dessen noch nichts genossen / fieng sie bitterlich an zu weinen. Es häufften die Zähren die Erinnerung seiner erlittenen Noht / es mehrete den Schmertzen die Erkantnus seiner Gedult / alles / was er geredt und gehandelt / vergrösserte die Angst Macarie / und ihres Hertzens Betrübnus. Deßwegen sie dann auch die Gesellschafft dieses Schiff-Patrons nicht länger begehrte / sondern ihn mit höflichen Worten / welche einige nötige Geschäffts-Verrichtung vorwandten / wieder heim eilen hieß. Es waren aber ihre Verrichtung nichts anders / dann bethränte Klagen / und klagbaffte Thränen / damit sie den unschuldigen Tod Polyphili /in ihrer Einsamkeit unverhindert / begleiten könte. Der Schiff-Patron merckte bald / wohin das Hertz der Macarien zielte / derohalben er auch ihr nicht länger verhinderlich / sondern vielmehr beförderlich zu seyn sich befleissete / indem er derselben die letzte Wort Polyphili / mit dem darinnen begriffenen letzten Willen anzeigete / auf Bitt und Befehl Polyphili selbst.[94]

Macarie / der ein jedes Wort / wie scharff-schneidi ge Schwerter / durchs Hertz drunge / konte sich dennoch gegen Talypsidamo so unbeweglich stellen / daß er nicht einige Veränderung an ihr mercken konte /bevorab / weil sie / durch solche Wort / aus dem vorigen Traur-Netz heraus gerissen / und in ergrimte Zornstrick / so lang sie ihres Herrn Vettern Gegenwart scheuen muste / geworffen würde. Was / sagte sie / und mit was recht / nennet er mich seine / ja seine Macarien: Durch was Dünckel will er mich seinen Geist schröcken lassen? Aus was Verdienst erwählet er meinen Schoß / zu seiner Seelen Ruhe? In allem hat er warlich weit gefehlet und wird er dessen /auch nicht des Geringsten / keinmal gewürdiget werden. Ich bin und bleibe mein eigen / und keines andern. Sein Schröck-Geist kan auch in seiner Grufft verbleiben: so ist ihm die Erde ein würdiger Schoß /da sein Leib; der Himmel aber / wie ich wünsche und hoffe / da seine Seele ruhe. Sehet indessen / geehrter Herr Vetter! was dieser unter der Tugend-Decke gesuchet? verstehet ihr nun / wie er seine Laster-Tück mit der Tugend verblümen / und mit der Kunst-Begierde decken können? haltet mich nicht für so unklug / daß ich nicht wisse / wie trüglich die Jugend sey / und wie sie nach solchen Tugenden gemeiniglich zu streben pflege / die einem Laster am allergleichsten seyn.

Der Schiff-Patron / der dieses alles mit Verdruß anhörte; dieweil er gedachte: es wäre das Hertz Macarie diesen Worten gleich: hielt vergebliche Wider-Rede /und bemühete sich sehr / diese übelgefasste Einbildung der Macarien zu benehmen / mit Vorwendung /daß alles / was Polyphilus gethan /[95] sey aus Liebe gegen Kunst und Tugend geschehen. Und das erwieß er nach solcher Länge / daß Macarie einen viel grössern Verdruß über das bekam / das sie gerne hörete /als vorher Talypsidamus über ihren widrigen Reden erlitten. Dochgefiel ihr diß wol / daß sie aus seiner unnöthigen Bemühung gewiß seyn konte / er habe nicht verstanden / daß sie / in diesem allen / seiner Freundschafft mehr / denn der Warheit beygepflichtet: wiewol auch dem Schiff-Patron in diesem Fall nicht wenig Unrecht geschahe / als welcher so gesinnet war / daß sie ihre Gegen-Gunst ihm nicht bergen dörffen. Aber Macarie war furchtsamer und vorsichtiger /als nöthig war.

Endlich gehet Talypsidamus wieder fort / Macarie /die immer heimliche Sorge vor Polyphili ertödeten Cörper trug / fragte: ob der Cörper Polyphili gefunden / oder noch gesuchet werde? Und da sie von dem Letzten das Ja-Wort erhielt / sprach sie ferner: Nun denn / geliebter Herr Vetter! so thut euren Pflichten gemäß / weil ihr ihn so hertzlich geliebt / und seine Kunst und Tugend noch immerdar sehr vertheidiget /versehet ihn / wann er gefunden wird / mit einem ehrlichen Begräbnus. Mit diesem Versprechen scheidete er hinweg / und ließ Macarien allein.

Diese / nach dem sie die Thür verriegelt / und alle Eingäng verschlossen hatte / so gar / daß sie sich nun / allein zu seyn / versichern konte / fieng / mit höchstschmertzlichen Senfftzern / und heiß-quällenden Thränen / ihre Kümmernus / und die Widerwertigkeit des falschen Glücks / durch den unversehenen und schmäligen Tod Polyphili / hertzlich und schmertzlich an zu beklagen und zu beweinen / weil sie sich in der grössesten[96] Anfechtung befandte / so jemals der erzürnte Himmel denen Sterblichen zur Straf / und die ergrimmten Götter denen Ubelthätern /zur gerechten Rach / zu schicken können. Wer ihre Gestalt gesehen / konte in Warheit nicht sagen / daß diß Macarie sey. Die erhellende Augen-Sonne / welche vor dem das Hertz Polyphili / mit ihrer Stral-werffenden Hitze / so hoch entzündet / sahe man jetzo durch den rauhen Dunst der Hertz-quälenden Seufftzer verfinstert / und durch den feuchten Augen-Schweiß / gleich einem dickfallenden Regen / verdunckelt / daß sie fast nicht mehr scheinen konte. Das Purpur-Feld ihrer Wangen / das vor dem / durch die Mannigfaltigkeit ihrer Wunder-belibten Blumen / das Hertz Polyphili in die höchste Verwunderung geführt / war nunmehr durch die rauhe Winde der bleichen Kümmernus gantz verdorret / daß es kaum wieder konte ersrischet werden. Die Blut-gefärbte Corallen ihres gelehrten Mundes / mit denen beröhteten Lefftzen / die vor dem / durch ihre erhabene Pracht /den Polyphilum zur freywilligen Dienstbarkeit bereden konten / waren jetzo / durch die Gedult zwingende Ohnmächtigkeiten dermassen verstummet / daß /wofern der kummerhafte Schmertz nicht / mit voller Gewalt / das Hertz durch den Mund heraus geworffen / und also das Schloß zerbrochen / sie folgende Rede / an Polyphilum / nicht hätte vollbringen können.

So beklagte sie aber den Tod Polyphili: Ach! daß mich die Gunst des Himmels so hoch geliebet hätte /daß ich entweder gleiche Straffen mit ausgestanden /oder ja keine Gelegenheit irgend überkommen / Strafe zu verdienen! Bist du denn / ertödteter Polyphile! zu deinem und meinem Tod hieher[97] kommen? Woltestu Tugend suchen / und dein Leben verlieren? Ach das ist der unendliche Schmertzen / der mich in die Gruben legen wird / wie er dich in den Strom geworffen. Ach! warum hab ich dir / deine wohl-gemeynte Gunst nicht besser belohnet? Warum hab ich dem treuen Hertzen Polyphili nicht bessern Glauben geben? Polyphile! dein Blick / dadurch du mich von deiner Pein verständigtest / wird mir jetzo ein lauterer Gifft / der meine Seele tödtet / und meine Krafft verzehret. Wird mich nicht hinführo dein Geist schröcken? Ja / komm her Polyphile! unschuldiger Polyphile / komm her! Siehe! da ist die Stätte / da ist der Schoß / den du zu deiner Ruhe begehret. Würdige mich / Polyphile! deine Treu im Tod dir zu vergelten / die ich in deinem Leben dir versaget. Komm / Polyphile! Siehe! da ist mein Mund / den du / in deinen letzten Zügen / zu küssen begehrtest. Siehe! da ist mein Hertz / dem du so viel tausend Seufftzer zuschicktest. Siehe! da sind meine Hände: ach! daß sie dich aus den Wellen könten hervor ziehen / wie sie dich hinein gestürtzet haben! Was wilt du mehr? Polyphile! mich selbsten? Siehe! da bin ich / bitte die Götter / daß sie gerechte Rach an mir verüben / und mich neben dir in den Sternen-Saal setzen / will ich aller Welt gern entnommen seyn. Dann nunmehr ängstiget mich doch dein Tod. Ich arm-selige Macarie / soll ich noch Macarie heissen? Wie ist dann das Gefängnus meiner Besehligungen so hart verriegelt? Ich trostlose Macarie / soll ich noch Macarie heissen! wie ist dann der Wandel meines Lebens dem Namen so hart zuwider? Polyphile / Polyphile! du machest mich sterben / wie ich an deinem Tod Ursacherin[98] gewesen. Nun so fahr ich dir nach / reiche mir deine Hand / Polyphile! daß ich dir nachfahre. Aber du wilt nicht / Polyphile! warum? daß ich dich ertödtet? Ertödte mich wieder / so will ich den Göttern das Versühn-Opffer an meinem Leibe bezahlen.

Als Macarie sich so schmertzlich ängstigte / über fiel sie eine krafftlose Ohnmacht / darinnen sie so lang verharrte / biß sie in einen angenehmen Schlaf gerieth / und im Traum den Polyphilum vor sich stehend befand / sie mit freundlichen Worten bittend /sie wolle ihm das Kleinod ihrer Tugend-geziemenden Gegen Gunst nicht länger verhalten: Darauf sie aber nicht ein Wort antwortete / sondern mit Stillschweigen / sein Begehren widersprach / und obwol Polyphilus noch ferner anhielt / mochte er doch nichts erhalten / biß er endlich / mit betrübten Hertzen und weinenden Augen / von ihr scheiden muste.

Bald darauf erschien ihr ein ander Bild / das auf sie zunahete / und eine Tafel überreichete / darauf der Name Polyphili in Wachs gedrucket war / welche Macarie annahm / und an die Sonnen setzte / biß das Wachs zerschmoltzen: worüber der / so die Tafel überreichet / mit einem Schwerdt erstochen.

Bald nach dem befand sie sich in einer Hölen /unter den wilden Thieren / deren jedes einen Theil vom Polyphilo im Rachen hielt / und daran nagte /konte doch selbiges nicht verschlingen: Derowegen sie / wider ihren Willen / den Raub fallen liessen /und mit grossem Ungestümm auf Macarien zudrungen / sie anfielen / und bald hin / bald her schleppeten / vermochten ihr doch nichts zu schaden.

Diesen Schrecken vermehrete ein ander Gesicht /weil sie in einem engen Schrancken zwey junge Ritter[99] auf den Todt kämpffen sahe / deren keiner den andern erlegen konte; und weil sie von denen Umstehenden vernahm / daß diese an statt der Tugend und der Liebe fechteten / wolte sie der Tugend zu Hülff kommen / wurde aber durch die Geschwindigkeit der Liebe / zu samt der Tugend / auf den Boden nieder gelegt.

Nach dem sahe sie ein Gesicht / das erschröcklich anzusehen war / voller Eyfer / mit aufgesperrtem Rachen / und Feur-wetzenden Zähnen / das sie doch nicht recht vernehmen konte / ob es einem Menschen /oder sonst einem Thier gleich sahe. Und als dieses verschwunden / wurde sie zweyer schwartz-bekleideten Jungfrauen gewahr / die stätig ihre Augen / so mit Thränen flossen / trückneten / bald auch / als aus Verzweifflung / die Hände ineinander schlugen / und sich kläglich geberdeten. Denen folgte ein kleiner Knab unbekleidet / welcher sich sonder-frölich stellete / und bald diesen / bald jenen anlachete: alle aber / die angelachet wurden / fiengen kläglich an zu weinen. Nach selbigen folgete eine gantze Schaar Lust-tantzender Göttinnen / die mit erhobener Stimm ihre Hertzens-froh besungen / und nichts unter liessen /was zur Vermehrung ihrer angefangenen Lust dienen mochte. Diese Schaar zog einen Gefangenen nach /mit Fesseln und Ketten so wol verwahret / daß er /ohne groß Geklapper und Geräusch / nicht vorbey gehen mochte. Sieben waren der Wächter und Kriegs-Knechte um ihn her. Und dieser war die Ursach ihres Freuden-Spiels. Sie setzten ihn auf einen erhabnen Thron / und verwahreten die Ketten aller Orten mit festen Schlössern / und kam ein jede der Göttinnen /und übete ihre Rache. Endlich trat auf der kleine[100] Knabe / und zog aus seiner Brust / wunderbahrer Weiß / ein Siegel / darinnen das Bildnus Macarie stunde; Darauf ihm eine der Göttinnen etliche verguldete Pfeil darreichte / die er mit solcher Geschwindigkeit / auf den Gefangenen zuwarff / daß man nicht erkennen kunte / wohin er getroffen. Der Gefangene aber fiel todt darnider.

Macarie erwachte über den Schrecken / konte sich doch / wegen der starcken Ohnmacht / nicht erheben /bleibet demnach noch länger in der Ruhe. Indessen kommt die berühmte Zauberin Melopharmis / welche der Macarien sonderlich gewogen war / und dannenhero auch dem Polyphilo / als welche / durch ihre viel-vermögende Kunst / ihrer beyder Hertzens-Wunsch schon wuste. Diese gedachte der Macarien eine Freud wieder zu machen / und von der beschmertzten Angst zu erlösen / darum sie folgende Wort mit verständlichen Buchstaben auf den Tisch mahlete / dabey sie schlieff / auf daß / wann sie erwachte / dieselben alsbald ins Gesicht fassen könte. Die Wort aber waren diese: Betrübte Macarie! die Götter haben deine Seufftzer erhöret: dein Polyphilus ist nicht tod: deine Tugend hat ihn nicht gestürtzet; sondern erhalten. Du aber laß ihn geniessen dessen /das er um dich erlitten. Und ob du seiner noch so bald nicht ansichtig wirst / laß dich nichts bekümmern. Ehre seine Kunst in deinem Hertzen: liebe seine Liebe auch abwesend: vergiß nicht seiner letzten Wort: ich habe ihn an fremde Ort geführet / da er sich deiner wird würdig machen: und du wirst selber noch dir zu wider leben. So bald die Wort geschrieben waren /machet sich Melopharmis durch ihre[101] Zauber-Kunst wieder hinweg / aber mit solchem Geräusch / daß Macarie völlig davon erwachet / und dem Gethön nachsiehet / aber nichts ersehen kan.

So bald mochte der Schlaf die Augen nicht erlassen haben / daß sie von dieser Schrifft nicht wieder gefüllet wurden. Die Erinnerung ihrer viel-deutenden Träume / der Schrecken über diese unerwartete Schrifft /und der Schmertzen / so sie noch immerdar gefangen hielt / verwirreten sie dermassen / daß sie selber nicht bey ihr gedencken konte / was sie deneken solte. So bald sie aber die erste Wort gelesen / und / wie die Götter ihre Senfftzer erhöret / vernommen / sagte sie alsobald: gewiß ist die Schaar der Unsterblichen hie zugegen gewesen: gewiß ist diß durch ihre eigene Hand geschrieben. Grosse Freude erquickte das Hertz / und die Begierde / was gewisses zu erfahren /verkürtzete die Schrifft dermassen / daß sie in unglaublicher Eil durchgelesen war. Es belustigte sie dieselbe auch so sehr / daß sie wiederum von vorne anfieng: aber die Schrifft verschwand für ihren Augen / welches sie noch mehr stärckete in ihrer Einbildung / daß dieses ein sonder-gnädiges Himmel-Geschicke seyn müsse. Nichts fiel ihr ungelegener / als daß sie nicht mit grösserm Nachsinnen die Wort gelesen / doch blieb ihr dieses in frischem Gedächtnüs /daß sie vernommen / Polyphilus lebe und liebe / dem sie auch allerdings mit einer Gegen Liebe begegnen solle. Welche Erinnerung sie in diese Wort heraus zu brechen bewogen.

Wie kan ich dir / günstiger Himmel! in dieser meiner sterblichen Schwachheit nach Verdienst und Gebühr dancksagen / daß du mich durch deine milde Beschützung / in meiner höchsten Bedrangnus / so[102] wunderbarlich erquickest. Darff ich dir Glauben beymessen / in allem dem / was ich mit deinem Finger bezeichnet funden; wie ich dann dir allermassen den Glauben schuldig bin; so verspreche ich dir noch einmal ein ewig Gelubd / daß dieser Tag / vor ein Denck- und Danck-Fest / die Zeit meines Lebens /von mir soll geheiliget bleiben. Ein Denckmal will ich setzen an diese Stätte / da ich von so grossen Schmertzen erlöset / und all mein Kummer sich geendiget. Ein Danck-mal soll jene Stätte tragen / da der lebende Polyphilus meiner zum erstenmal ansichtig worden / und mich / so uns der Himmel begnädiget /noch mehr sehen / und erfreuen wird. Du nur Polyphile! wo du gehest / wo du stehest / da begleite dich die Hut und Wach der Unsterblichen / und führe dich / durch einen sichern Weg / biß du wieder ohne Anstoß zu mir kommest / um Kunst und Tugend zu vermehren: ich will deiner warten.

Dieses alles / was wir bißher von Macarien erzehlet und vernommen / war aus keinem andern Grund / als aus Mitleiden / gegen dem Polyphilo / geredt und gethan / als welcher / durch die falsch-gefasste Hoffnung / Tugend und Kunst bey Macarien zu erwerben /sein Leben einbüssen müssen: Wiewol die Gedancken Polyphili weiter giengen / der ihm wol gar einbilden dorffte / (wie er denn einen hohen Sinn führete / der ihm offt mehr durch das blinde Glück / als nach seinen Würden / oder Vermögen / sein Begehren gewährete /) mit Macarien in solche Verträulichkett zu kommen / daß ihrer beyder Hertz ein Wollen und ein Beginnen dichte / ja! daß man gar sagen müsse: Polyphilus und Macarie[103] sind eins: welches doch noch weit im Felde war / und eher zu wünschen / als zu hoffen.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 89-104.
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