104. Die Grenze

[187] Den 29. Januar 1814.


Du Grenze? Nein nicht Grenze, du alter Rhein!

Du Lebensblut, dem Herzen Teutoniens

Entströmend, beiden Ufern Segen

Spendend, und hohes Gefühl, und Freude!


Du deutscher Urart, mächtiger Rhein! Dein Strom

Ist groß und hehr, nicht rauschend dem Ohre, schnell

In stiller Eile, deine Wirbel

Sprudeln nicht auf, und sind unaufhaltsam;


Sind tief wie Meer, wie Gottes Geschosse schnell

Und kraftvoll, doch befreundend dem flachen Floß,

Das deinen Wogen sich vertrauend,

Fülle des Landes den Städten zuführt.
[187]

Als Gott der Herr die Veste von Fluten schied,

Und Inseln aus der Tiefe sich heben hieß,

Und Quellen aus dem Schoß der Berge

Rief, und dem Ocean Grenze stellte;


Gesetz dem Sturme sprach; als das junge Licht

Die neue Schöpfung, welcher es Schöne gab,

Anstaunte: da verweilte freundlich

Über dem Rhein, und des Rheines Ufern,


Sein Wonnestrahl; durchdrang mit des Urlichts Kraft

Der rhein'schen Berge Schoß. Er empfing, und barg

Die Gabe, bis aus Gold und Purpur

Träufelte Labsal von deutschen Reben,


Des Rheines wert, des Deutschen auch wert! voll Kraft,

Zu That entflammend und zu Gesang, nicht Schaum

Aufsprudelnd, lebenduftend, Helle

Strahlend dem Geist und das Herz durchglühend.


An beiden Ufern ranket die Freude! glüht

Auf hohen Felsen, spielet im Blumenthal,

Hier Kühlung aus des Alten Wogen

Saugend, sich kräftiger dort entflammend!


An beiden Ufern tönet des Deutschen Sinn

Aus deutschem Wort; dem edelsten Weine gleich,

Und dir, o Rhein, ist unsre Sprache,

Reich wie dein Strom, mit geheimen Tiefen;


Vom eitlen Nachbar, der sich in Schaum berauscht,

Verstanden nimmer, nimmer erfunden! Laßt

Ihm seinen Schaum im Becher! ihm die

Sprache, die an der Empfindung hinstreift.


Ihn haben Schrecken Gottes, und deutsches Herz –

Heuschrecken gleich, die oft, mit der Fackel Glut,

Der Landmann von sich scheuchet, bis ihr

Schwirrender Schwarm in den Rhein sich stürzet –
[188]

So haben Schrecken Gottes, und deutsches Herz,

Des Drängers Horden, welcher der Herrschaft sich

Bei uns vermaß, ihn selbst, den Dränger,

Her von der Oder bis hin zum Rhodan


Geschreckt, verfolgt, zerstiebet! Er windet sich,

Und fleht um Frieden! Friede, ja Friede sei

Dem eitlen Volk, in alter Grenze;

Aber dem Deutschen sei deutsche Freiheit,


So weit die Sprache tönet, die trauliche,

Die fromme, hehre; sie, der Empfindung, sie,

Gespielin des Gesangs, der frei im

Tanze wie Sphärengesang einherschwebt!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 187-189.
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