106. Andenken des Wandsbecker Boten

[190] 1816.


Der Bote ging in schlichtem Gewand,

Mit geschältem Stab' in der biedern Hand,

Ging forschend wohl auf und forschend wohl ab,

Von der Wiege des Menschen bis an sein Grab.

Er sprach bei den Frommen gar freundlich ein,

Bat freundlich die andern auch fromm zu sein,

Und sahn sie sein redliches, ernstes Gesicht,

So zürnten auch selbst die Thoren ihm nicht.[190]

Doch wußten nur wenige, denen er hold,

Daß im hölzernen Stabe gediegenes Gold,

Daß heimliche Kraft in dem hölzernen Stab,

Zu erhellen mit Lichte des Himmels das Grab.


Nun ruhet er selbst in der kühligen Gruft,

Bis die Stimme des hehren Erweckers ihn ruft;

O, gönnet ihm Ruh' in dem heiligen Schrein,

Und sammelt die Ernten des Säemanns ein!

Er säte das Wort und sein Leben war Frucht,

Er führete lächelnd zu heiliger Zucht;

O, spendet ihm Blumen aufs einsame Grab

Und schauet getrost in die Nuhstätt' hinab!

Und begrüßet mit Wünschen sein trauliches Weib,

Die zartere Seel' in dein zarteren Leib;

Die mit ihm in heiliger Liebe gepaart,

In Thränen der großen Vereinigung harrt.
[191]

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 190-192.
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