[Der alte Gondolier beginnt zu plaudern]

[270] Der alte Gondolier beginnt zu plaudern,

Liebkosend, sanfter streichelt er die Fluten,

Die leicht im kalten Mondenlichte schaudern!


Indes verlodern der Piazza Gluten,

Es ist, als hörte man in Tropfen leise

Da Herz Venedigs durch die Stille bluten!


Und mit gedämpfter Stimme spricht der Greise:

»Wenn so der Vollmond durch die Kolonnade

Der Dogen zittert, wie verloren Weise,


Dann kommt entlang die schattende Arkade

Ein schwarzes Weib, den schwarzen Zendel tragend,

Und lehnt sich schweigend an die Balustrade.


Darauf, den Schleier aus der Stirne schlagend,

Hebt mit dem Antlitz sie, dem stolzen, bleichen,

Zum Mond empor ihr dunkles Auge klagend.


Und ob des Meers mondschimmernden Bereichen

Erteilt sie so mit zärtlich bangem Blicke

Aus schlanker Hand des Kreuzes Segenzeichen.


Gesenkten Hauptes wallt sie dann zurücke,

Und mancher meint, daß aus des Schleiers Welle

Das goldne Horn der Dogenkrone blicke.


Durchs Tor La Casta wandelt sie ins Helle,

Und von der Riva Säulen sieht man schieben

Sich eine Gondel, schlank wie die Gazelle.


Noch auf der Puppa rückwärts stehn geblieben,

Wirft auf die Löwenstadt die blasse Fraue

Den letzten Blick mit schwermutsvollem Lieben –


Dann schwimmt die Gondel rasch hinaus ins Blaue!«

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 270-271.
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