Türkische Justiz

[185] Ins Meer zum süßen Zeitvertreib,

Da fährt des Paschas Lieblingsweib. –

Es schwimmt auf lauer Düfte Flut

Ein Abend voller Farbenglut,

Wie ihn die Liebe gern durchdehnt,

Wie Ros' und Bülbül ihn ersehnt.

Die Sonne wälzt ihr sprühend Rad

Ins abendkühle Wogenbad

Und preßt den letzten Flammenkuß

Aufs feuchte Aug' des Bosporus.

Wie liegt sie reich und üppig da,

Die Kuppelstadt des Padischah,

Wie eine Braut voll Reiz und Scham,

Der man vom Aug' den Schleier nahm.

Es spiegelt sich auf ebner See

Der Silberhalbmond der Moschee,

Und zitternd auf dem Flutenbett

Wiegt Wimpel sich und Minarett. –

Gemächlich, wie ein sanfter Schwan,

Durchschwebt die Flut der bunte Kahn,

Wie am Gestad' die Muschel schwimmt,

Darin die edle Perle glimmt.

Wie war sie schön vom Haar zum Fuß,

Die Rose aus dem Kaukasus,

Wie war ihr Auge blau und groß,

Ein unermess'ner Meeresschoß.

Wie war ihr Antlitz glanzbesonnt,

Ein ganzer Liebeshorizont,

So weiß und rot, so rot und weiß,

Wie Morgenrot auf Kasbecks Eis.

Ein Schwanenflaum der stolze Hals,

Ein Silberschaum des Wasserfalls,

Darauf die schwarze Locke lag,

Wie dunkle Nacht auf lichtem Tag.

Es floß der Kaftan himmelblau

Rings um den Antilopenbau,

Wie sich der Blätter wallend Kleid[186]

Rings um den Wuchs der Palme reiht.

Sie war so voll und zart und schlank

Ein fleischgewordner Saitenklang,

Ein Strahl aus Allahs Diadem,

Hell wie der Stern von Bethlehem.

Doch bei der Houri Mund an Mund,

Da sitzt ein junger Christenhund,

Die Rechte führt des Ruders Last,

Die Linke hält die Maid umfaßt.

So oft der Streich im Wasser rauscht,

So oft wird Kuß um Kuß getauscht.

So haben sie manch laue Nacht

Ins Meer die sel'ge Fahrt gemacht,

Indes der Pascha traumumnachtet

Nach seiner schönen Sklavin schmachtet. –

Es senkt die Nacht sich ernst und hehr,

Ein Riesenadler, übers Meer.

Und matter wird des Nachens Schuß,

Und heißer wird des Franken Kuß,

Bis Land und Meer sich schwarz vermummen

Und Ruderschlag und Kuß verstummen. –


Und wieder taucht im Wellenlauf

Des Abends rosig Segel auf.

Er schüttelt aus den Falten frisch

Sein Rosenöl verschwenderisch.

Und wieder naht die süße Frist.

Am Ufer steht der junge Christ,

Die Arme zum Umschlingen fertig,

Die Seele heiß und lustgewärtig.

Es fliegt sein Puls, sein Atem kocht,

Sein Herz die Brandung überpocht,

Es ist ihm schwül und bang, wie nie:

»Wo weilt sie denn, was zögert sie!?« –

Und horch, was plumpt so dumpf und schwer

Von jener Klippe in das Meer?

Es schlägt die Flut, als wär' es Blei,

Und horch, ein kurzer Weheschrei!

Es hält sich zappelnd auf den Wogen[187]

Und schlägt im Wasser weite Bogen,

Aufschreit die See von beiden Seiten,

Das muß Entsetzliches bedeuten! –

Fest stemmt der Christ den Ruderschaft

Und stößt vom Sand mit Jugendkraft;

Der Nachen übern Spiegel schoß,

Als wie ein springend Perserroß,

Wild schäumt die Woge hier und drüben

Und scheint ihn wütend fortzuschieben.

Da schwimmt es noch, es sinkt, es sinkt!

Der Franke in die Wellen springt,

Er greift es mit entschloss'nem Pack,

Von Leder ist's ein schwerer Sack,

Den zieht er schaudernd in den Kahn

Und trennt ihn mit dem Jatagan.

Was er gesehn und was er fand,

Er hat es nimmermehr bekannt;

Um Ufersand zur selben Stund',

Da grub er ein den teuren Fund. –

Der Pascha ward nach wenig Wochen

Von eines Franken Dolch erstochen.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 185-188.
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