k.

[429] Einst lebte zu Hauwiek ein Mann, der war weit klüger als die übrigen Hauwieker, aber das Glück war ihm nicht gewogen gewesen, und zuletzt mußte er es erleben, daß ihm seine beiden Kühe abstarben. Da nahm er die beiden Häute, um sie nach Westerstede zu tragen und zu verkaufen. Unterwegs mußte er einmal seine Tracht ablegen, um abseits zu gehen. Als er zurückkam, hatten, von dem Geruche gelockt, die Raben sich an seine Häute gemacht, und einer hatte sich mit den Füßen in den Haaren verwickelt, sodaß er nicht wegfliegen konnte. Da dachte er: »Wat plagst du di mit de Hü', vellicht bringt di de Rawe mehr in,« ließ die Häute den übrigen Raben zur Beute und nahm den gefangenen mit nach Westerstede. Als er da ankam, war es noch früh am Tage, und er kletterte in einen Baum vor des Pastoren Hause, um dort abzuwarten, bis die Leute auskämen. Der Baum stand aber gerade vor dem Kammerfenster, und es dauerte nicht lange, da stand der Pastor auf, und der Mann bekam etwas zu sehen, was gar nicht für seine Augen berechnet war. Als der Pastor aus der Kammer fortgegangen war, stieg der Mann von seinem Baume herunter, trat in die Pastorei und sagte zu dem Pastoren: »Go'n Dach, Herr Pastoor! ick heww hier 'n Rawen, de kann wahrseggen, den wull ick em doch ins wisen.« »Da 's jo 'n Wunner«, antwortete der Pastor, »denn lat 'n is wahrseggen.« »Ja, Herr Pastoor!« sagte der Mann, nahm den Raben auf die Hand und kniff ihn, und der Rabe machte »koax!« »Wat hett he denn nu seggt?« fragte der Pastor. »Ick mag 't nich seggen, Herr Pastoor.« »Och wat, he mot[429] et seggen.« »Na denn man to! He hett seggt: Vermorgen Klock seß het de Pastor sin Fro küßt.« »Dumm Tüch, so wat kann dat Ding doch nich seggt hebben.« »Ick mag 't verkährt verstahn hebben, will 'n noch is wedder fragen.« Er kniff den Raben nochmals, und dieser machte »koax, koax!« »Na wat seggt he nu?« »He seggt: Nahär hett he 't noch tweemal wedder dahn.« Da gab der Pastor dem Mann ein gutes Trinkgeld und ließ ihn laufen. Als der Mann nach Hause kam und mit dem Gelde klingelte, fragten ihn die Nachbarn, woher er das habe. Da sagte er, das habe er in Westerstede für seine Kuhhäute bekommen. Als die Hauwieker das hörten, gingen sie nach Hause, schlachteten alle ihre Kühe und trugen die Häute nach Westerstede. Aber dort wurden sie ausgelacht, als sie soviel Geld forderten, und mußten mit einem Spottpreise nach Hause zurückkehren. Da merkten sie, daß sie betrogen waren. Das wollten sie aber an dem Lügner rächen und beschlossen, ihn im Zwischenahner Meere zu ersäufen. Sie brachten einen hölzernen Käfig, sperrten den Mann hinein und machten ihn so an das Zwischenahner Meer. Dort ward es ihnen doch wunderlich, daß sie einen Menschen so mit kaltem Blute ins Wasser werfen wollten, darum beschlossen sie, erst eins zu trinken, setzten den Käfig aufs Ufer nieder und gingen in den nächsten Krug. Dem Manne war gar nicht wohl zumute in seinem Kasten, aber er wußte sich nicht zu helfen und ergab sich in sein Schicksal. Da kam ein Viehhändler des Weges und trieb eine schöne Herde Ochsen vor sich her. Als der Mann das sah, fing er an, für sich zu sprechen: »Nä, ick kann't nich dohn, un ick doh't ok nich«, und wiederholte dies so lange, bis der Ochsentreiber ihn hörte und herzuging. »Wo kummst du in den Kasten,« fragte er, »un wat hest du dar ümmer de Wörde to seggen?« »Och«, erwiderte der Mann, »ick schall Papst van Rom wären, un heww nich schriwen und läsen lährt, dat doh 'k nich, un dat kann 'k nich dohn, un darum hebbt se mi hier inspeert.« »Wenn 't anners nicks is«, sagte der Ochsentreiber, »dat kann ick god; lat us tusken, driw du de Ossen hen un lat mi der wedder in.« Der Mann war zufrieden und zog mit seinen Ochsen auf einem Umwege nach Hause, der Ochsentreiber aber kroch in den Kasten. Gleich darauf kamen auch die Hauwieker wieder, und da sie nun Mut genug getrunken hatten, merkten sie nichts davon, daß ein Fremder im Kasten war, und warfen ihn ins Wasser. Dann[430] traten sie den Rückweg an. Nicht lange waren sie ihn ihrem Dorfe im Kruge, da erschien der Bauer mit seinem Raben auf der Hand und trieb eine schöne Herde Ochsen vor sich her. Als er vor den Krug kam, machte er Halt, um zu trinken. Da wunderten sich die Hauwieker sehr und fragten, wo er mit den schönen Ochsen herkomme. Er antwortete, er habe sie von dem Grunde des Meeres geholt, da gingen sie zu Tausenden; es sei nur schade, daß sie ihn nicht weiter hineingeworfen hätten, denn da hätte er noch viel mehr und viel schönere bekommen können. Da verlangten sie von ihm, er solle seine Ochsen an die Stelle des Ufers, wo er mit ihnen herausgekommen, zurücktreiben, damit dieselben für die im See befindlichen zur Lockung dienten. Er sagte es zu und zog am andern Morgen mit seinen Ochsen und den Hauwiekern an das Zwischenahner Meer, und die Ochsen trieb er so nahe an das Meer, daß ihr Bild sich in dem klaren Wasser widerspiegelte. Da hieß es: »Dar sünd se all, se willt man nich herut!« und die Hauwieker sprangen schleunigst ins Wasser, um sie auf das Land zu treiben. Da sind sie denn auch geblieben. (In einer Erzählung heißt es: Als sie den Kasten mit dem Manne am Zwischenahner Meere hatten, hörten sie die Glocken zur Kirche läuten, und da sie fromme Christen waren, dachten sie, es sei Zeit, in die Kirche zu gehen. Als sie aus der Kirche zurückkommen, hat der Tausch stattgefunden. Das ganze Märchen s. Grimm Nr. 61.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 429-431.
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