s.

[437] Zu Wilsen war einst ein Pastor, der hatte schlechte Augen und klagte, daß ihm immer Sonntags die Sonne aufs Buch scheine, und das könne er gar nicht vertragen, dann gingen ihm gleich die Augen über. Da glaubten die Wilsener, ihre Kirche stehe verkehrt, deshalb kamen sie an einem Nachmittage alle zusammen und überlegten, was anzufangen sei, aber keiner wußte Rat, denn die Kirche umzubauen, dazu hatten sie kein Geld. So saßen sie denn sehr traurig beisammen.[437] Da kam ein fremder Reisender, der fragte sie, warum sie doch so traurig wären. Sie klagten ihm, daß ihre Kirche verkehrt gebaut sei, denn die Sonne scheine am Sonntage dem Pastoren aufs Buch, und dann könne der nicht lesen. Da sprach der Fremde, was sie geben wollten, wenn er ihnen einen guten Anschlag sage. Die Wilsener antworteten, sie wollten ihm ein neues Kleid geben. Da sprach er, wenn das Kleid fertig sei, sollten sie alle wiederkommen, und auch der Pastor solle mitkommen, damit er bestimmen könne, wie er die Kirche haben wolle; er wolle dann die Kirche darnach stellen. Darüber waren sie sehr froh und gingen vergnügt weg. Das Kleid wurde geschwind fertig gemacht, und so wie sie wiederkamen, zog er das neue Kleid an und sagte, sie sollten alle Stricke, die sie nur hätten, herbeiholen. Das geschah; er band die Stricke um die Kirche und ließ die Leute alle ziehen, der Pastor aber stand vor dem Altar und hatte sein Buch vor sich, damit er sehen könne, wann es genug sei. Wie sie nun tüchtig anzogen, hing der Fremde geschwind seine alten Kleider vor das Fenster. Da rief der Pastor: »Holt still, holt still, anners geit't to wiet!« Der Fremde aber machte, daß er davon kam. (Visbek.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 437-438.
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