627. Besser dreist als verzagt.

[470] Es ging einmal ein Handwerksbursch auf Reisen, das war ein munterer, lustiger Bruder, aber auf seinem Rücken trug er einen großen Höcker mit sich, der ihm viel Verdruß machte. Eines Abends kehrte er in ein Wirtshaus ein, da erzählte ihm der Wirt, daß nahebei ein verzaubertes Schloß sei, in welchem es wunderlich hergehe; aber wer es treffe, der könne sein Glück darin machen. Da dachte der Geselle: »Das willst du einmal versuchen« und begab sich auf das Schloß. Er ging durch viele Zimmer, aber er fand keinen Menschen, und als er zuletzt in ein Zimmer kam, in welchem ein schön aufgeschlagenes Bett stand, legte er sich hinein und fing an zu schlafen. Als es eben Mitternacht war, entstand in dem Schornstein ein Lärmen und Poltern, und herunter fiel ein Menschenbein und dann noch eins, dann ein Arm, ein Kopf und so fort, bis alle Teile eines Menschen bei einander waren. Als keiner mehr fehlte, fügten sie sich zusammen und wurden zu einem Menschen, der begann zu tanzen und machte sich selbst Musik, denn er sang:[470]


»Hop hop hop hei,

noch bin ich allein!«


Nicht lange so kam abermals ein Bein heruntergepoltert und noch ein Bein und zwei Arme und ein Kopf, und wie alle Teile unten waren, fügten sie sich zu einem Menschen zusammen, der faßte den ersten an und tanzte mit ihm, und beide sangen:


»Hop hop hop hei,

nun sind wir zu zwei!«


Aber das Gepolter hörte noch nicht auf, es kam noch ein Mensch bei Stücken heruntergefallen, und wie er sich zusammengefunden hatte, faßte er die beiden andern an, tanzte mit ihnen, und sie sangen:


»Hop hop hop hei,

nun sind wir zu drei!«


Der Geselle hatte sich das alles mit angesehen, und weil sie so fröhlich waren, bekam er Lust mit zu tanzen, sprang aus dem Bette, gesellte sich zu ihnen und sang:


»Hop hop hop hier,

nun sind wir zu vier!«


So tanzten sie eine Weile fort. Als sie aber müde waren, sprachen die drei, die aus dem Schornstein gekommen waren, zu dem Gesellen: »Du hast so gut mit uns getanzt, was willst du dafür haben?« Der Geselle antwortete: »Was soll ich dafür verlangen? Das Tanzen hat mir Vergnügen gemacht.« Da faßten die drei seinen Höcker an, nahmen ihn vom Rücken ab und setzten ihn an die Wand, dann verschwanden sie. Der Geselle legte sich wieder zu Bett und schlief aus, und als er am andern Morgen aus dem Schlosse ging, war er ein schlanker Mensch und grade wie eine Tanne, sodaß ihn die Leute kaum wieder erkannten.

Wohlgemut zog er seines Weges, da begegnete ihm ein alter Bekannter, der just einen solchen Verdruß mit sich herumtrug, wie der andere ihn noch abends vorher getragen hatte. »Bruder«, sagte der, »wie hast du es angefangen, daß du jetzt so grade und schlank vor mir stehst wie eine Tanne, und warst doch sonst ebenso krumm und höckerig wie ich? Welcher Doktor hat dir geholfen?« »Kein Doktor«, erwiderte jener und erzählte, wie es ihm gegangen sei, und beschrieb ihm alles genau, wo das Schloß stehe und in welchem Zimmer das Bett bereitet sei. Der Schneider dachte: »Das könnte dir auch passen« und ging den Weg, den ihm der andere gezeigt hatte.[471] Als er nun in dem Schlosse war und in dem Bette lag und die Glocke zwölf schlug, da kam ein Mann in einzelnen Gliedern den Schornstein heruntergefallen, setzte sich zusammen und sang:


»Hop hop hop hei,

noch bin ich allein!«


Aber den Schneider kam das Grauen an, er zog sich die Bettdecke über den Kopf und wünschte sich weit weg. Bald kam der zweite und endlich auch der dritte Mann und sangen und tanzten wie die Nacht vorher. Aber der Schneider verspürte keine Lust, mit zu tanzen, und verkroch sich nur immer tiefer unter die Bettdecke. Als die drei sich eine zeitlang mit Singen und Tanzen lustig gemacht hatten, kamen sie an das Bett, rissen dem Schneider die Decke weg, holten ihn selbst heraus und verlangten, daß er mittanzen solle. Aber der Schneider zitterte vor Angst und Schrecken an allen Gliedern und konnte weder springen noch singen. Da faßten die drei ihn an, drückten ihn rücklings an die Wand, wo des anderen Gesellen Höcker klebte, und als sie ihn wieder los ließen, saß ihm der zweite Höcker auch auf dem Rücken, und was er auch tat und anwandte, so ist er ihn doch nicht los geworden sondern hat zwei Höcker tragen müssen sein Leben lang. (Rastede.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 470-472.
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