640. Die drei beredten Töchter.

[511] Eine Mutter hatte drei Töchter, die waren hübsch genug, konnten aber allzumal das R nicht aussprechen. Auf einen Abend hatte sich ein Freier angemeldet, und die Mutter sann und sann den ganzen Tag, wie sie am besten den Fehler ihrer Töchter verbergen möchte. Als sie nichts ausfindig machen konnte, sagte sie zu den dreien, sie sollten gar nicht sprechen und nur[511] immer ruhig bei ihrem Spinnen bleiben. Mit Dunkelwerden kam der Freier, und die Mädchen saßen lange stumm. Endlich riß der ältesten der Faden, den sie gesponnen, und ehe sie sichs versah, entschlüpften ihr die Worte: dât kott (Drath kurz, d.i. zerrissen). Da erwiederte die zweite: knüpp wedde an! und die jüngste, welche die andern zurechtweisen wollte, rief: moud seggt, wi schull swigeun pôt all in ein wige (prôt all in ein rige – Mutter sagt, wir sollen schweigen, und schwatzen all in einer Reihe,) Da hörte der Freier die Zungenfertigkeit der Mädchen, und mit dem Freien wars vorbei. (Scharrel.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 511-512.
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