25. »Die Waffen nieder«

[180] Aber »Das Maschinenzeitalter« und sein Schicksal lag mir nicht mehr so sehr am Herzen. Ich hatte eine andere Arbeit in der Werkstatt, die mich gefangennahm und auf die mein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet war. Der Friedensliga wollte ich einen Dienst leisten – wie konnte ich das besser tun, als indem ich ein Buch zu schreiben versuchte, das ihre Ideen verbreiten sollte? Und am wirksamsten, so dachte ich, konnte ich das in Form einer Erzählung tun. Dafür würde ich sicherlich ein größeres Publikum finden als für eine Abhandlung. In Abhandlungen kann man nur abstrakte Verstandesgründe legen, kann philosophieren, argumentieren und dissertieren; aber ich wollte anderes: ich wollte nicht nur, was ich dachte, sondern was ich fühlte – leidenschaftlich fühlte –, in mein Buch legen können, dem Schmerz wollte ich Ausdruck geben, den die Vorstellung des Krieges in meine Seele brannte; – Leben, zuckendes Leben – Wirklichkeit, historische Wirklichkeit wollte ich vorführen, und das alles konnte nur in einem Roman, am besten in einem in Form der Selbstbiographie geschriebenen Roman, geschehen. Und so ging ich hin und verfaßte »Die Waffen nieder«.

Es sollte die Geschichte einer jungen Frau werden, deren Schicksal mit den in unserer Zeit gefochtenen Kriegen eng verknüpft war. Damit aber die eingefügten historischen Ereignisse der Wirklichkeit entsprächen, damit die Schilderungen der Schlachtszenen wahrheitsgetreu ausfielen, mußte ich vorher Studien machen, Material und Dokumente sammeln.

Das habe ich, so gut es ging, gewissenhaft getan. Ich las in dickbändigen Geschichtswerken nach, stöberte in alten Zeitungen und Archiven, um Berichte der Kriegskorrespondenten und Militärärzte zu finden; ich ließ mir von solchen meiner Bekannten, welche im Felde gestanden, Schlachtenepisoden erzählen, und während dieser Studienzeit wuchs mein Abscheu vor dem Kriege bis zur schmerzlichsten Intensität heran. Ich kann es versichern, daß die Leiden, durch die ich meine Heldin führte, von mir selber während der Arbeit mitgelitten wurden. Was ein Weib leiden muß, das einen geliebten Gatten im Kriege weiß, das konnte ich mir jetzt leichter vorstellen, denn die Tiefe meiner eigenen ehelichen Liebe genügte, um mich im Geiste in eine solche Lage zu versetzen. Und die Schilderung eines Edelmenschen, wie ich sie in der Gestalt meines Helden versucht habe, wurde mir dadurch erleichtert, daß mir für dessen Charakter der eigene Gatte Modell stand.[180]

Welche Erleichterung und welche Befriedigung, als ich unter den zweiten Band das Wort »Ende« schrieb!

Nun galt es, an die Unterbringung zu gehen – da war mir nicht bange; mehrere Blätter hatten mich gebeten, ein Manuskript einzuschicken, und jene große Wochenschrift, die meine früheren Arbeiten gebracht und die mir nie etwas abgelehnt, würde wohl auch dieses Manuskript aufnehmen. Zuversichtlich schickte ich es ein. Mein Staunen war nicht gering, als die Antwort einlief:

»Gnädige Frau! Mit Bedauern sehen wir uns veranlaßt, Ihnen das – – (einige Komplimente) Manuskript zurückzuschicken. Große Kreise unserer Leser würden sich durch den Inhalt verletzt fühlen.«

So versuchte ich denn bei einer anderen Redaktion; dasselbe Resultat. Und noch bei einigen – einstimmig abgelehnt. In einer der mit mehr oder weniger Höflichkeiten überzuckerten Antworten hieß es: »Trotz aller dieser Vorzüge aber ist es ganz ausgeschlossen, daß der Roman in einem Militärstaat veröffentlicht werde.«

Es war also vielleicht besser, auf Zeitungsabdruck zu verzichten und »Die Waffen nieder« direkt als Buch erscheinen zu lassen, und so übersandte ich das vielgereiste Paket meinem Verleger Pierson. Dieser zögerte lange. Das Buch schien ihm gefährlich. Um jene Zeit war gerade in Deutschland ein Preßprozeß entschieden worden, welcher eine Verschärfung der Zensur zur Folge haben sollte und eine strenge Unterdrückung aller Schriften, die irgendwie gegen die bestehenden Institutionen Auflehnung enthielten. Pierson riet mir, ich möge das Manuskript einem erfahrenen Staatsmann zur Durchsicht geben mit der Bitte, alles zu streichen, was Anstoß geben könnte. Gegen diese Zumutung schrie ich entrüstet auf. Eine Arbeit, mit der ich mir allen Groll und allen Schmerz von der Seele geschrieben hatte, die mir die geheiligte »bestehende Institution« des Krieges einflößte – und neben mir gewiß Tausenden von anderen, die es nur nicht aussprechen dürfen – eine solche Arbeit, die, was immer ihr Wert oder ihr Unwert sei, doch das eine Verdienst hatte, heiß empfunden und rückhaltlos aufrichtig zu sein, auf diplomatisch-opportunistische Weise zustutzen zu lassen, sie nach den Regeln jener verächtlichsten aller Künste – nämlich der Kunst, es allen recht zu machen – umzumodeln: nein, da lieber in den Ofen damit. So möge ich wenigstens den Titel ändern, schlug der Verleger noch vor. Nein! Der Titel umfaßt in drei Worten den ganzen Zweck des Buches. Auch an dem Titel darf keine Silbe geändert werden. Nach diesem Ultimatum fügte sich Pierson, und »Die Waffen nieder«[181] ging in die Welt hinaus. Der Verleger hat seinen Wagemut nicht zu bereuen gehabt – der Roman ist heute in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet und in ein Dutzend Sprachen übersetzt worden. Aus diesem ganz unerwarteten Erfolg schließe ich nur eins: die Idee, welche das Buch durchdringt, war dem öffentlichen Geist sympathisch. Den Befürchtungen der Redaktionen entgegen, daß das kriegerisch gesinnte deutsche Publikum keinerlei Interesse für die Friedensidee fassen würde, zeigte sich, daß diese in weiten Kreisen – selbst in militärischen Kreisen, denn auch aus diesen kamen mir viele anerkennende Zeichen zu – gehegt wird. Wenn in einem Raume ein Ton stark erklingt, so beweist das nicht so sehr die Fülle des Tones als die Güte der in dem betreffenden Raume herrschenden Akustik. Der Geist, der bei Zeitungsredaktionen, Theaterdirektionen (bei allen Regierungen überhaupt) zu herrschen pflegt, ist gegen die Bedürfnisse der jeweiligen Massen gewöhnlich im Rückstand; man urteilt da nach dem Stande der vor zehn oder zwanzig Jahren zum Durchbruch gekommenen öffentlichen Meinung; inzwischen aber ist diese in ihrem ununterbrochenen Wandlungsgang bei einer anderen Station angelangt. So glaube ich gerne, daß ein Buch gegen den Krieg, das gegen Anfang der siebziger Jahre erschienen wäre, als noch der Siegestaumel in Deutschland und der Revanchezorn in Frankreich überschäumten, ganz und gar erfolglos geblieben sein würde. Auch mußte der Waffenkultus die ungeheuern Dimensionen angenommen haben, durch welche er seither die Bevölkerungen in sein hartes Joch spannt, er mußte die Welt bis zum Rande des Ruins gebracht haben, damit die Losung »Die Waffen nieder« so starkes Echo finden konnte.

Jeder Tag brachte mir Kritiken von nah und fern, Feuilletons und Leitartikel. Bartholomäus Carneri veröffentlichte eine zehn Spalten lange Besprechung in der »Neuen Freien Presse«, J. F. Widman eine Serie von fünf Feuilletons im »Bund«. Ich erhielt Kritiken aus Rußland, wo das Buch in fünf verschiedenen Uebersetzungen – davon in einer von mir autorisierten – erschien; Kritiken aus Amerika, aus England, aus den skandinavischen Ländern, in welch letzteren auch schon im ersten Jahre Uebersetzungen veranstaltet wurden.

Nun wurde ich in lebendigen Kontakt gebracht mit allen, die mit der Friedensbewegung in Verbindung standen, oder die, durch mein Buch auf das Bestehen einer solchen aufmerksam gemacht, sich ihr nunmehr anschlossen.

Der nachstehende Brief hat mir besondere Freude gemacht.

Der Erfinder des Dynamits schrieb mir:[182]


Chère Baronne et amie!


Je viens d'achever la lecture de votre admirable chefd'œuvre. On dit qu'il y a deux mille langues – ce serait 1999 de trop – mais certes il n'y en a pas une dans laquelle votre délicieux ouvrage ne devrait être traduit, lu et médité.

Combien de temps vous a-t-il pris de composer cette merveille? Vous me le direz lorsque j'aurai l'honneur et le bonheur de vous serrer la main – cette main d'amazone qui fait si vaillamment la guerre à la guerre.

Vous avez tort pourtant de crier »à bas les armes« puisque vous-même vous en faites usage, et puisque les vôtres – le charme de votre style, et la grandeur de vos idées – portent et porteront bien autrement loin que les Lébel, les Nordenfelt, les de Bange et tous les autres outils de l'enfer.

Yours for ever and more than ever

Paris, le 1/4 1890.

A. Nobel.


In einer Reichsratsdebatte über das Militärbudget (18. April 1891) sprach Finanzminister Dunajewski folgende Worte:

»Es ist kürzlich ein Buch erschienen ›Die Waffen nieder‹ – ich kann den Herren nur raten, der Lektüre dieses Romans einige Stunden zu widmen; wer dann noch Vorliebe für den Krieg hat, den könnte ich nur bedauern.«

Natürlich fehlten auch die Widersacher nicht. Anonyme Spott- und Schmähbriefe, herunterreißende Rezensionen: »Was die gute alte Dame von ihren Schicksalen erzählt, ist ja recht traurig; aber die dar ausgezogenen Folgerungen können dem ernsten Politiker nur ein Lächeln abgewinnen; »rührselige Albernheit«, »aufdringliche, unkünstlerische Tendenzmacherei«; »gänzlich verfehltes Machwerk«; »die Autorin möge doch zu ihren Novellen zurückkehren, bei welchen sie ein ganz nettes Talent entfaltet« u.s.w., u.s.w. Auch ein Großer im Reich der Literatur, Felix Dahn, hat ein Epigramm in die Welt geschickt, das die Runde durch die Presse machte, das aber – der Dichter wird mir dies selber zugeben – nicht viel poetische Schönheit aufweist:


An die weiblichen und männlichen Waffenscheuen.


Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen,

Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen,

Doch freilich, Männer gibt's in diesen Tagen,

Die sollten lieber Unterröcke tragen.


Auf dieser Welt steht alles in Wechselbeziehung. Was sich als ein Resultat einstellt, wird wieder zur Ursache neuer Resultate.[183] So auch hier. Ich hatte das Buch geschrieben, um der Friedensbewegung, von deren beginnender Organisation ich erfahren hatte, einen Dienst zu leisten in meiner Art – und die Beziehungen und Erfahrungen, die mir aus dem Buche erwachsen sind, haben mich in die Bewegung immer mehr hineingerissen, so sehr, daß ich schließlich nicht nur, wie ich anfangs gewollt, mit meiner Feder, sondern mit meiner ganzen Person dafür eintreten mußte.

Inzwischen, während der Weltausstellung von 1889 in Paris, hatte dort ein Friedenskongreß getagt, präsidiert von Jules Simon. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Institution der interparlamentarischen Konferenzen geschaffen. Das Jahr zuvor hatten zwei Männer, das englische Mitglied des Unterhauses, Randal Cremer, und der französische Deputierte Frédéric Passy, die Bildung einer interparlamentarischen Union in Angriff genommen. Sie erwirkten sich nun die Zustimmung einer Anzahl ihrer Kollegen, und im Ausstellungsjahr versammelten sich diese in einer ersten Konferenz (aus dem englischen Parlament waren dreihundert Mitglieder vertreten), und es wurde vereinbart, daß in allen europäischen Volksvertretungen Anhänger geworben werden sollen, und daß alljährlich eine interparlamentarische Konferenz stattzufinden habe. Für die nächste, zweite, ward London als Versammlungsort bestimmt.

Alldem schenkte die Mitwelt nur wenig – um nicht zu sagen gar keine Beachtung. Ich jedoch folgte diesen Ereignissen mit gespanntestem und hoffnungsvollstem Interesse. Durch die Monatsschrift »Concord«, dem Organ der Londoner Peace-Association, ward ich auf dem laufenden erhalten, und ich las aufmerksam die Berichte über alle in den Versammlungen gehaltenen Reden und gefaßten Beschlüsse. Mich selber an der Sache zu beteiligen – anders als durch die Feder – kam mir noch gar nicht in den Sinn.

Quelle:
Bertha von Suttner: Memoiren, Stuttgart und Leipzig 1909, S. 180-184.
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