51. Alfred Nobels Tod und Testament

[368] 12. Dezember. Alfred Nobel †.

Mit dieser einzigen Zeile habe ich den Verlust in mein Tagebuch eingetragen. Die Nachricht – ich fand sie in den Blättern – versetzte mir einen schmerzlichen Schlag. Das Band einer zwanzigjährigen Freundschaft war zerrissen. Der letzte Brief, den ich von Nobel erhalten, war aus Paris vom 21. November datiert und hatte folgenden Inhalt:[368]


Paris, le 21 novembre 1896.


Chère baronne et amie,


»Bien portant« – non, malheureusement pour moi, je ne le suis pas, et même je consulte les médecins, ce qui est contraire non seulement à mes habitudes mais aussi à mes principes. Moi qui n'ai pas de cœur au figuré, j'en ai, en tant qu'organe, un, et je m'en ressens.

Mais voilà assez de moi et de mes petites misères. Je suis enchanté de voir que le mouvement pacifique gagne du terrain. C'est grâce à la civilisation des masses et grâce surtout aux chasse-préjugés et aux chasse-ténèbres parmi lesquels vous occupez un rang élevé. Ce sont là vos titres de noblesse. Heartily yours

A. Nobel.


Das kranke Herz, auf das er in diesem Briefe anspielt, hat seinen Tod herbeigeführt. Am 10. Dezember – er war damals in seiner Villa in San Remo – wurde er plötzlich von einem Herzkrampf dahingerafft. Seinem Sterben hat niemand beigewohnt, man fand ihn in seinem Arbeitszimmer – tot.


Einige Zeit nach der Todesnachricht brachten die Zeitungen die Mitteilung, daß Alfred Nobel sein Millionenvermögen zu wohltätigen Zwecken hinterlassen, darunter einen Teil zur Förderung der Friedensbewegung. Noch fehlten die näheren Einzelheiten. Ich erhielt jedoch durch die österreichische Gesandtschaft in Stockholm eine Abschrift des Testaments, und auch der Testamentsvollstrecker, Ingenieur Sohlmann, setzte sich mit mir in briefliche Verbindung. Ich wußte also genau, wie die Verfügungen dieses merkwürdigen letzten Willens lauteten:


Nach Abzug von Legaten an Verwandte, im Betrage von ungefähr einer Million Kronen, war der Rest des Vermögens – 35 Millionen – dazu bestimmt, einen Fonds zu bilden, aus dessen Interessen jährlich fünf Preise an solche zu verteilen seien, die für das Wohl der Menschheit Ersprießliches geleistet haben. Und zwar:

1. für die wichtigste Entdeckung und Erfindung im Bereiche der Physik,

2. für die wichtigste Entdeckung und Erfindung im Bereiche der Chemie,

3. für die wichtigsten Entdeckungen auf dem Gebiete der Physiologie oder Medizin,

4. für die ausgezeichnetsten Erzeugnisse idealistischer Richtung im Bereiche der Literatur,

5. für denjenigen oder diejenige, welcher oder welche am besten für die Verbrüderung der Menschheit, die Herabminderung[369] der Heere und die Förderung von Friedenskongressen gewirkt hat. Mit der Verteilung der ersten vier Preise ist die Stockholmer Akademie betraut, mit der des fünften das norwegische Storthing.


Von dem treuen Mitarbeiter an meiner Revue, Moritz Adler, dem Verfasser der gediegenen Essays »Zur Philosophie des Krieges«, erhielt ich nach Bekanntgabe der Testamentsnachricht folgendes Schreiben:


Wien, 4. Januar 1897.


Hochgeehrte gnädige Frau!


Gestatten Sie mir, Sie aus vollem Herzen zu der Neujahrsfreude zu beglückwünschen, welche die herrliche Nobelsche Stiftung Ihnen gewähren muß, abgesehen natürlich von dem Wermutstropfen, den das Scheiden eines solchen Geistes und Herzens dem Labetrunke beimischte. »Multis ille bonis flebilis occidit« läßt sich von diesem großen Toten in Wahrheit sagen. Keinen Sanitätstrain für zukünftige Gladiatorenhetzen der Völker hat er hinterlassen, denn es lag ihm fern, das Gewissen der Mächtigen einlullen zu wollen und sie glauben zu machen, daß er es für möglich gehalten, daß die Schmach sich wiederholen werde. Nicht einmal ein Hospital für andere, nicht von der Gesellschaft unschuldig zu Wunden und Tod verurteilte Kranke hat er gegründet. Aber Millionen werden dereinst in lichteren Tagen des Lebens und der Gesundheit sich freuen und unter Tausenden wird vielleicht kaum einer ahnen, daß er nur Nobel es schuldet, kein Krüppel und kein Spitalskandidat zu sein. Hätte man es für möglich gehalten, daß der Mammon, der aus Dynamit entsprungene Mammon, so geadelt werden kann? Ich bin glücklich, diesen Tag erlebt zu haben; es war die edelste Freude meines ganzen Lebens.

Mit verehrungsvollstem Handkuß

Moritz Adler.


In der Tat, ja: diese Stiftung war mir eine hohe Genugtuung – da war wieder etwas Neues in die Welt getreten: als Wohltäter der Menschheit waren – nicht die Almosengeber, nicht die Gesetzgeber, am allerwenigsten die Eroberer – sondern die Erfinder und Entdecker und die von hohen Idealen inspirierten Dichter hingestellt und daneben die Arbeiter im Dienste des Völkerfriedens. Schon die Verkündigung dieses letzten Willens hat die allgemeine Aufmerksamkeit erregt, und alljährlich, zur Zeit der Preiskrönungen, wird sich diese Sensation wiederholen. Vor aller Welt ward da – nicht von einem exaltierten Träumer, sondern von einem genialen Erfinder – Erfinder von Kriegsmaterial noch dazu – öffentlich erklärt, daß die Verbrüderung der Völker, die Verminderung der Heere, die[370] Förderung der Friedenskongresse zu den Dingen gehören, die das meiste für das Glück der Menschheit bedeuten.

... Also ein Leitstern steht am Himmel, und immer mehr und mehr verteilen sich die Wolken, die ihn bisher verdunkelten – sein Name ist Menschenglück. Solange aber die Menschen sich gesetzlich in ihrem Leben bedrohen, solange sie, statt einander zu helfen, einander befehden, gibt es kein allgemeines Glück. Aber es muß und wird doch kommen. Der wachsende Forschergeist gibt dem Menschen eine über die Natur gebietende Gewalt in die Hand, die ihn zum Gott oder zum Satan machen kann. »Da hast du einen Stoff,« sprach der lebende Nobel zur Mitwelt, »mit dem du alles und dich selber vernichten kannst ...,« der tote Nobel aber zwingt unseren Blick zu jenem Stern empor und spricht zur Nachwelt: »Veredle dich und du wirst glücklich sein.«

Es hat fünf Jahre gedauert, bis es zur Verteilung der Preise kam. So lange hat es gebraucht, bis ein Prozeß überwunden war, den einige Mitglieder der Familie Nobel gegen die Gültigkeit des Testaments angestrengt hatten, und dann, um das Gesamtvermögen zu realisieren. Wenn dem Protest der Familie der damalige Chef derselben, Emanuel Nobel, sich angeschlossen hätte, so wäre zu seinem eigenen größten Vorteil die letztwillige Verfügung umgestoßen worden – Emanuel Nobel aber hat diesen Anschluß verweigert. Er erklärte, daß ihm der Wille seines Onkels heilig sei, und er trat dafür ein, daß dieser in allen Punkten – auch in dem besonders gefährdeten Punkte 5 – getreulich ausgeführt werde.

Ein Brief, datiert 13. April 1898, den der Testamentsvollstrecker an mich richtete, brachte mir über diese Angelegenheit interessante Aufschlüsse. Herr Ragnar Sohlmann schrieb:


– – – Wie Sie den Blättern entnommen haben werden, griffen gewisse Mitglieder der Familie Nobel das Testament des Herrn Nobel vor dem schwedischen Gerichte an. Und zwar mit der Begründung, daß kein Universalerbe eingesetzt sei. Dem »Nobelfonds«, wie derselbe durch das Testament selber geschaffen wurde, fehlten – so behaupteten sie – die nötigen Elemente, um zu funktionieren, nämlich Administratoren. Darauf werden wir antworten, daß alle notwendigen Elemente durch das Testament gegeben sind, nämlich das Kapital, das Aktionsziel und die zu dieser Aktion bestimmten Institute: die schwedische Akademie und das norwegische Storthing. Die bloße Organisation gehört – so werden wir anführen – offenbar zu der den Exekutoren und der Akademie übertragenen Aufgabe. Ursprünglich hatten die klageführenden Verwandten den Plan, den Kasus einem französischen Gericht zu unterbreiten,[371] indem sie versuchten zu erweisen, daß Herrn Nobels gesetzliches Domizil nicht in Schweden war, sondern in Paris. Sie betrachteten die französischen Gesetze als günstiger für ihre Ansprüche als die schwedischen, was unzweifelhaft auch der Fall gewesen wäre. Es ist uns aber soweit gelungen, die Ausführung dieses Planes zu verhindern, und erst vor wenigen Tagen hat der oberste Gerichtshof von Schweden dahin entschieden, daß Bofors das legale Domizil Herrn Alfred Nobels war.

Einen sehr wichtigen Faktor in dem kommenden Prozeß bildet die Tatsache, daß Herr Emanuel Nobel aus Petersburg und der ganze russische Zweig der Familie sich dem Prozesse nicht anschließen. Dieser Umstand sichert die Ausführung des Testaments, insoweit es sich um den entsprechenden Teil der Verlassenschaft handelt. Folglich kann das Testament als feststehend gelten, was acht Zwanzigstel des ganzen Vermögens betrifft. Dies verringert auch die Chancen für eine gerichtliche Ungültigkeitserklärung der restlichen zwölf Zwanzigstel.

Die Hauptgefahr für das Testament liegt in der wirklichen Animosität, die gegenwärtig zwischen Schweden und Norwegen besteht, und in der hier genährten Furcht – selbst unter den Mitgliedern der Regierung –, daß die ganze Sache neuen Anlaß zu Reibereien zwischen den beiden Ländern geben könnte. Besonders die Konservativen glauben – oder geben vor zu glauben –, daß das norwegische Storthing die Preise benützen könnte, um andere Länder gegen Schweden zu »bestechen« – und sie haben allerdings durch die Anstellung Björnsons Boden gewonnen, welcher als der ärgste Feind Schwedens gilt und der in das Preisverteilungskomitee ernannt worden ist. Tatsächlich werden die Glieder der Nobelschen Familie, die das Testament anfechten, darin von den hiesigen Konservativen unterstützt, auch von einigen Mitgliedern der Regierung.22


Soweit mein Korrespondent, der diese Mitteilungen als vertrauliche, nicht für die Oeffentlichkeit bestimmte bezeichnete. Ich habe selbstverständlich auch, solange die Sache schwebte, und bis heute die obigen Informationen nicht weitergegeben; aber jetzt, nachdem der Prozeß schon lange zugunsten der Testamentsgültigkeit entschieden ist und die begleitenden Umstände auch anderweitig bekannt geworden sind, kann ich das Diskretionsgebot wohl als aufgehoben betrachten. Es bietet doch ein allgemeines Interesse, zu sehen, wie die leidige Politik allenthalben verdächtigend und feindlich mitspielt und wie überhaupt die »Konservativen« gegen die Friedensbewegung und dergleichen mißtrauisch sind. Jetzt ist der norwegisch-schwedische Streit[372] ausgeglichen: Björnson gilt längst nicht mehr als ein Feind Schwedens. Er hat aus der Hand des Königs selber den Literatur-Nobelpreis erhalten und zugleich mit Emanuel Nobel an der königlichen Tafel gespeist, wobei sich Oskar II. auf das freundlichste mit dem norwegischen Barden unterhielt.

Die erste Verteilung der Preise fand am 10. Dezember (Jahrestag von Nobels Tod) 1901 statt. In Stockholm war es der König selber, der in einer erhebenden Nobelfeier die von der schwedischen Akademie verliehenen vier Preise den Laureaten übergab. Der Friedenspreis ward vom Nobelkomitee des Storthings vergeben.

In den seither verflossenen sieben Jahren wurde der Friedenspreis wie folgt ausgeteilt:

1901: Frédéric Passy und Henri Dunant;23 1902: Elie Ducommun und Albert Gobat; 1903: Randal Cremer; 1904: Institut du Droit international; 1905: Bertha von Suttner; 1906: Präsident, Roosevelt; 1907: Teodoro Moneta und Louis Renault.

22

Auch – wie ich aus anderer Quelle erfahren – vom König selber.

B. S.

23

Ich bemerke, daß die Teilung des Prämiums weder dem Wortlaut des Testaments noch den mir wohlbekannten Absichten des Testators entspricht. B. S.

Quelle:
Bertha von Suttner: Memoiren, Stuttgart und Leipzig 1909, S. 368-373.
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