52. Erste Hälfte des Jahres 1897

[373] Aus meinem Briefschatz seien hier noch einige Stücke wiedergegeben. Anläßlich der in den ersten Tagen des Januar 1897 stattfindenden Jahresversammlung meines Vereins hatte ich mich ein paar Wochen früher an verschiedene Persönlichkeiten um mitzuteilende Zuschriften gewendet und zahlreiche Antworten erhalten, darunter die folgenden:


Politisches Departement der

Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Bern, 10. Dezember 1896.


Gnädige Frau!


Ihr Brief vom 5. d. M. ist mir richtig zugekommen, und ich danke verbindlichst für die darin enthaltenen Glückwünsche der »Oesterreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde« an die Schweizer Regierung.

Der Bundesrat verfolgt in der Tat mit aufrichtigem Interesse die menschenfreundlichen Bestrebungen, der zivilisierten Welt die Greuel des Krieges zu ersparen, und er schließt sich mit großer Sympathie den Kundgebungen an, die den Zweck[373] haben, den Völkern die unschätzbare Wohltat des Friedens begreiflich zu machen.

Indem ich Ihnen die besten Wünsche für das volle Gelingen Ihrer Generalversammlung ausspreche, übermittle ich Ihnen, gnädige Frau, den nochmaligen herzlichen Dank und die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.

Der Präsident

der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Lachenal.


Bureau International de la Paix, Sekretariat.

Bern, 9. Dezember 1896.


Geehrte Kollegin!


Jede einzelne Bemühung der Friedensfreunde gleicht jenen kleinen Dunstkügelchen, deren Verdichtung später den Regen bilden wird, nach welchem die Karawane schmachtet. Man betrachtet diese Partikelchen nicht, man wird ihrer nicht gewahr; und wenn dann der kühlende Regen fällt, so erinnert man sich nicht mehr der Atome, die ihn so geduldig zusammengesetzt.

»Was liegt daran,« sagen unsere standhaften Apostel – »wenn's nur regnet!«

Seit mehr als fünf Jahren schreitet die »Oesterreichische Gesellschaft der Friedensfreunde« entschlossen vorwärts, und ihre Wirkung gewinnt an Ausbreitung, ohne an Tiefe zu verlieren. Sie wird einen bedeutenden Anteil an dem Schlußerfolg unseres Gesamtwerkes haben, und wie wir alle, so wünscht auch sie nichts anderes, als daß einst das Gesetz des Völkerfriedens als etwas so Selbstverständliches und von selber Entstandenes erscheine, wie das Gesetz der Schwere und das Licht der Sonne.

In diesen glücklichen Zeiten werden die Friedensvereine und die Friedensbureaus nur mehr Spuren im Gedächtnis einiger Archivisten haben, welche die Entdeckung gemacht haben werden, daß es zur sonderbaren Epoche der Kanonen auch Antikanonenbestrebungen gab.

Empfangen Sie, geehrte Kollegin, für sich und Ihre würdigen Mitarbeiter die Versicherung meiner hohen Achtung und vollen Ergebenheit.

Ducommun,

Ehrensekretär des Internationalen Friedensbureaus

in Bern.


Bruxelles, Chambre des Représentants,

Présidence, 13. Oktober 1896.


Geehrte Frau Baronin!


Ich war von Brüssel abwesend, als Ihr Brief vom 4. anlangte, und ich bin zu spät heimgekehrt, um rechtzeitig die für die Versammlung verlangten Zeilen schicken zu können.[374]

Es ist nunmehr sicher, daß es Brüssel sein wird, welchem im Laufe des kommenden Sommers die Nachfolge von Budapest zufallen wird; ich hoffe, daß wir bei dieser Gelegenheit die Ehre haben werden, Sie wiederzusehen. Wie mich, würde dies auch Madame Beernaert lebhaft freuen.

Genehmigen Sie u.s.w.

Beernaert.


Nizza, 6. Dezember.


– – König Umberto sagte mir, daß er mit Freuden von dem schönen Erfolge der Friedenskongresse in Budapest vernommen. »Ich bin für den Frieden,« fügte Seine Majestät hinzu, »Italien benötigt den Frieden, und Sie sehen, daß nun auch mit Frankreich ein freundlicheres Einverständnis zustande kommt.«

Meine besten Grüße an alle von dem alten Mitkämpfer

S. Türr.


Damals herrschte zwischen Frankreich und England ein ziemlich gespanntes Verhältnis. Ich hatte erfahren, daß Gladstones Freund, unser bewährter Mitkämpfer Philipp Stanhope, eine Aktion einleitete, welche den Zweck verfolgte, das Verhältnis zwischen den beiden Ländern zu bessern. Ich fragte bei ihm an, näheren Aufschluß verlangend, und erhielt folgende Antwort:


Algier, 11. Dezember 1896.


Liebe Frau von Suttner!


Ich habe das Unglück, immer weit weg von zu Hause zu sein, wenn Sie mir die Ehre erweisen zu schreiben, und so kommt es, daß Ihr Brief vom 23. November mir erst vorgestern hier zugekommen ist.

Es ist richtig, daß ich zu jenen gehöre, die gegenwärtig an einer Kombination arbeiten, um die Beziehungen zwischen England und Frankreich zu verbessern. Sie, welche mit so großer Aufmerksamkeit die Entwicklung der öffentlichen Meinung verfolgen, sind in der Lage, sich von der gefährlichen Strömung Rechenschaft zu geben, die in jenen Beziehungen, namentlich in dem einen Teil der Presse, neuerlich Platz gegriffen hat. Diese Einflüsse sind schwer zu bekämpfen und die zu machende Arbeit wird viel Zeit und Energie erfordern. Die Kombination, von welcher Sie vernommen haben,24 ist bis jetzt noch ganz unbestimmt entworfen; aber bei Wiedereröffnung des Parlaments um den 20. Jänner hoffen wir etwas mehr Weg zurückzulegen, und ich werde Ihnen genaue Details übersenden.[375]

Was die Venezuelaaffäre betrifft, so ist der Vertrag zu deren Schlichtung nun definitiv zwischen England und den Vereinigten Staaten abgeschlossen, und soeben haben wir auch die Nachricht erhalten, daß er von der Regierung von Venezuela angenommen worden. So ist denn diese Frage auf gutem Wege der schiedsrichterlichen Entscheidung, und was jene viel größere Frage betrifft, nämlich der Abschluß eines allgemeinen und ständigen Vertrages zwischen den beiden Mächten, so hat Präsident Cleveland in seiner Botschaft an den Kongreß vom 7. Dezember verkündet, daß die darauf bezüglichen Verhandlungen auf dem Punkte stehen, zu einem günstigen und endgültigen Abschluß zu führen.

Sobald ich also zur Parlamentseröffnung nach London komme, hoffe ich in der Lage zu sein, Ihnen ein vollständigeres Resumee dieser – dann hoffentlich definitiv geordneten – Frage zu übersenden, mit allen erforderlichen Belegen.

Empfangen Sie u.s.w.

Philipp Stanhope.


Der Inhalt der angeführten Briefe hat insoweit ein historisches Interesse, als er zeigt, wie hervorragende Männer in einflußreichen Stellungen ausdauernd an der Arbeit waren, die Postulate der Friedensbewegung zum Durchbruch zu bringen. Andererseits bieten diese verschiedenen, nur wenigen Echantillons aus meinem ausgedehnten Korrespondenzbesitz auch ein biographisches Interesse, denn sie spiegeln den Entfaltungsgang jener Sache, die mir in steigendem Maße zum Beruf, zum Lebensinhalt, zum »Wichtigen« ward! Und ich konnte darin um so innigere Befriedigung finden, als ich mich in Harmonie mit so vielen, täglich zahlreicher werdenden, edlen Zeitgenossen wußte und namentlich in restloser Seelengemeinschaft mit einem unendlich geliebten und liebevollen Lebensgefährten. Jedes innere Erlebnis und jedes äußere Ereignis löste in uns beiden die gleichen Gefühle aus. Und dieses volle Ruhe-, dieses feste Sicherheitsbewußtsein allen Geschehnissen gegenüber, wenn man weiß, daß es ein Herz gibt, auf dessen Treue man rückhaltlos vertrauen, eine Brust, an der man gegen alle Bitternisse des Schicksals Zuflucht finden kann – mit einem Wort – das tiefe Glück der unbedingten Zusammengehörigkeit.


Am 11. Januar 1897 wurde in Washington der so lange vorbereitete, permanente Schiedsgerichtsvertrag zwischen England und den Vereinigten Staaten durch den Botschafter Sir Julius Pauncefote und dem Staatssekretär Olney unterzeichnet. Präsident Cleveland bezeichnete das Ereignis als die Eröffnung einer neuen Kulturära.[376] Die goldene Feder, mit der der Vertrag unterzeichnet worden, wurde im Staatsmuseum deponiert. Königin Viktoria sagte in ihrer Thronrede, sie hoffe, das Beispiel werde in anderen Ländern Nachahmung finden. In der Tagespresse und im Publikum erregte die Nachricht keinerlei Aufsehen.

Freilich führte dieser erste Anlauf auch nicht schon ans Ziel. Der Vertrag mußte, ehe er in Wirksamkeit trat, ratifiziert werden. Damit im amerikanischen Senat ein Gesetz durchgehe oder eine Abmachung Gültigkeit erhalte, ist eine Zweidrittelmajorität erforderlich. Als der Schiedsgerichtsvertrag mit England zur Abstimmung kam, fehlten an der Zweidrittelmajorität drei Stimmen, und damit war er abgelehnt.

Das änderte nichts an der prinzipiellen Bedeutung seiner Unterzeichnung durch die Vertreter der beiden Regierungen; die Kräfte, welche die Aufstellung und Unterzeichnung des Vertrages zusammengebracht haben, würden auch den Widerstand des Senats überwinden.

Auf der Insel Kreta bricht ein Aufstand aus. Kanea brennt. Die Dörfer der Umgebung brennen. Gefechte zwischen Türken und Griechen finden statt. Wer hat angefangen? Gleichviel, die Insel Kreta erklärt, daß sie das türkische Joch abschüttelt und sich Griechen land anschließt. In Athen Straßendemonstrationen; ungeheure Aufregung. Die Kammersitzung vom 25. Februar beschließt, Kriegsschiffe nach Kreta zu senden.

Etwas Neues tritt in die Erscheinung: »Das Konzert der Mächte«. Die Mächte vereinen sich, um auf Kreta Ordnung und Ruhe zu schaffen, und verbürgen den Kretensern Autonomie.

Wie sich die Vorgänge weiter abspielen, davon finde ich das Echo in den Aufzeichnungen meines Tagebuches vom April 1897. Einige Stellen seien daraus angeführt:

Das war ein Ostergeschenk! – Der Ausbruch des Griechisch-Türkischen Krieges. So hat denn das Konzert der Mächte das Unglück nicht verhüten können oder nicht verhüten wollen? Wohl beides. Sowohl Macht als Wille sind – in den Kreisen der Diplomatie und der Regenten – noch nicht genügend in der Richtung des Friedensgeistes entwickelt – noch stehen sie im Bann des jahrtausendealten Genius des Krieges.


Daß der Krieg so lange hintangehalten worden, daß er nun lokalisiert werden soll, daß das »Europäische Konzert« die allgemeine Konflagration verhüten will: das ist ein Sieg des Neuen. Daß der[377] Krieg dennoch ausgebrochen, daß die Mächte zuschauend mit der Intervention zögern – das ist ein Sieg des Alten.


Deutlich zeigt sich, wie notwendig und wohltätig jetzt ein wirklicher europäischer Rechtszustand, ein europäisches Tribunal, eine europäische Armee wäre. Der Embryo zu diesen Dingen hat sich da wohl gezeigt, aber die Entfaltung zu lebenskräftigem Wesen steht noch aus.


Ja, Ansätze zu einer Föderation der Kulturstaaten, die sind in dem »Konzert« enthalten. Wenn dieses noch so wenig harmonisch und noch in so unsicherem Takte vorging, so liegt die Schuld daran: Die Gewalt der Gewaltigen wollen sie stützen, nicht das Recht der Schwachen. – Es wird auf die Achtung gepocht, die dem von den Großmächten repräsentierten Willen gebührt, nicht auf die Achtung, die der Sache der Schwachen zukäme. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Freiheit – das ist der Dreiklang, der einem echten Friedenskonzert zugrunde liegen müßte! –


Ein Bild aus dem Feldzug. Die wilde Flucht der Griechen: Auf Meilen weit rundum war das Dunkel der Nacht von dem Aufblitzen der Schüsse durchleuchtet, welche die Fliehenden im wirren Durcheinander aufeinander abgeben. Durch Peitschenhiebe wild gewordene Pferde bäumten sich, rasten davon und warfen die Wagen um, welche die Insassen unter sich begruben. Hilflose Männer und jammernde Weiber überall, über welche von Verzweiflung getriebene Fliehende, wie wilde Horden, alles achtlos vor sich niedertretend, durch die Nacht dahinrasten ...


Unterdessen, während der Krieg auf der einen Seite wütet, mehren sich ganz still die schiedsrichterlich beigelegten Konflikte: die Guayanagrenzfrage zwischen den Vereinigten Staaten und England wurde am 5. April und dieselbe Grenzfrage zwischen Frankreich und Brasilien am 10. April der schiedsrichterlichen Entscheidung übermittelt.


Eine Kriegswolke aber steigt auf zwischen Großbritannien und Transvaal. Wird die öffentliche Meinung unserer Freunde in England schon stark genug sein, um die Gefahr abzuwenden?[378]


Egidy schreibt mir, daß er sich an den spanischen Gesandten in Berlin gewendet hat, aus Anlaß des Hilferufs aus Barcelona.25


Von dem Prinzen Scipione Borghese, demselben, der zehn Jahre später die große Automobilfahrt von Peking nach Paris zurücklegen sollte, erhielt ich um jene Zeit folgenden Brief:


London 28. April 1897.


Hochgeehrte Frau Baronin!


Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihren so ermutigenden Brief, welcher mir von Rom hierher nachgesendet wurde.

Das sehr wenige, was ich für das Friedensideal getan habe, ist ein Schatten dessen, was andere und Bessere groß und glänzend für das Vorschreiten der Menschheit schaffen. – Dieses ewige Vorschreiten entgegen einem besseren und mehr gerechten Leben muß, meiner Ansicht nach, das Ziel aller unserer Taten bilden.

Ich bin glücklich, mit Ihnen in direkte Verbindung kommen zu können, und hoffe sehr, Sie bald persönlich kennen zu lernen. Indessen bleibe ich, geehrte Frau Baronin, hochachtungsvoll Ihr ergebenster

Scipione Borghese.


Unsere literarische Arbeit rastet nicht. Mein Mann legt die letzte Hand an »Sie wollen nicht«, und ich beginne den Roman »Marthas Kinder« (der »Waffen nieder« zweiter Teil), nachdem ich ein englisches Buch übersetzt habe: »Marmaduke, Emperor of Europe«. »Die Waffen nieder« erscheint in französischer Uebersetzung in der »Indépendance belge«. Dieselbe Uebersetzung wurde zwei Jahre später als Buch bei Zolas Verleger Tasquelles (Charpentier) herausgegeben. Auch aus dem französischen Publikum kamen mir nunmehr zahlreiche Zeitungsstimmen und Briefe zu, die mir bewiesen, daß das Thema, das in dem Buche angeschlagen ist, auch ein lautes Echo bei den Zeitgenossen in anderen Ländern weckte.

Im Mai 1897 erhielt ich aus London von der kirchlichen »Arbitration Alliance« die Anfrage, ob ich geneigt wäre, dem Kaiser von Oesterreich ein Exemplar der Adresse zu überreichen, welche von[379] 170 Würdenträgern der Kirche an sämtliche Staatsoberhäupter gerichtet wird. Ich bejahte, und darauf erhielt ich das Dokument, eine in geschmackvoller Rolle kalligraphierte Kopie des Textes, mit den eigenhändigen Unterschriften der Absender versehen. Denn für jeden Potentaten war ein eigenes Exemplar hergestellt worden. An der Spitze der 170 Namen, welche durchgängig hohen kirchlichen Würdenträgern angehörten, waren der Erzbischof von Dublin, die Bischöfe von Ripon, Durham, Killaloe, der Kaplan der Königin Viktoria u.s.w. unterschrieben.

Ich kam bei der Kabinettskanzlei um eine Audienz ein, die mir für den 3. Juni, zehn Uhr vormittags, gewährt wurde. Den Gegenstand meines Anliegens hatte ich in dem Audienzgesuch angeben müssen.

Am bestimmten Tage, zur gegebenen Stunde, begleitet vom Vizepräsidenten meines Vereins, fand ich mich in der Hofburg ein. Im Vorzimmer des Audienzsaales wimmelte es von Uniformen. Generale und Stabsoffiziere warteten auf den Zutritt in den Audienzsaal. Wir brauchten nicht lange zu harren. Als sich die Tür öffnete, um die Persönlichkeit fortzulassen, die eben beim Kaiser gewesen, wurden wir auch schon gerufen. Dieser Vorzug galt nicht etwa dem Umstand, daß das Präsidium der Friedensgesellschaft eine »Arbitrationspetition« brachte, sondern einfach, weil mein Begleiter ein Fürst war – bei Hofe geht ja alles nach Rang und Titel.

Meine kunstvolle Rolle in Händen und eine wohlvorbereitete Ansprache auf den Lippen – die mir aber in dem Augenblick vollständig entfiel –, traten wir durch die vom Adjutanten offen gehaltene und hinter uns wieder geschlossene Tür. Der Kaiser stand bei seinem Schreibtisch und kam uns einige Schritte entgegen. Nach einer – wie ich glaube, gelungenen – tiefen Hofreverenz trug ich mein Anliegen vor; mein Begleiter setzte noch einige erklärende Worte hinzu, und ich überreichte das Schriftstück, das der Kaiser mit freundlicher Miene entgegennahm. Auf meine Auseinandersetzung über ein internationales Schiedsgericht, den Gegenstand der Adresse, hatte der Kaiser geantwortet:

»Das wäre wohl sehr schön ... es ist aber schwierig ...« Dann noch einige Fragen an uns beide, die Versicherung, daß das Schriftstück aufmerksam gelesen und beachtet werden soll, eine Kopfneigung mit verbindlichem »Ich danke« – und wir waren entlassen.

Nachstehend der Text des überreichten, jetzt in den Archiven begrabenen Dokuments:[380]


An Seine Majestät Franz Joseph I.

Kaiser von Oesterreich, Apostolischer König von Ungarn,

König von Böhmen etc. etc.


Heil und Gnade und Friede!


Im Verein mit anderen christlichen Kirchengemeinschaften erlauben wir uns demütigst vor Eure Majestät als das Oberhaupt eines großen und mächtigen Volkes zu treten, um Eurer Majestät Aufmerksamkeit auf den Weg friedlicher Schlichtung solcher Streitigkeiten zu lenken, welche zwischen den Nationen der Erde entstehen.

Das Schauspiel, welches christliche Völker darbieten, die mit schweren Rüstungen einander gegenüberstehen, bereit, bei eintretender Herausforderung zum Kriege zu schreiten und durch Blutvergießen ihre Streitigkeiten zum Austrag zu bringen, ist zum allermindesten ein Fleck auf dem herrlichen Christennamen.

Wir können nicht ohne den tiefsten Schmerz auf die Schrecknisse des Krieges blicken, mit allen den Uebeln, die sie in ihrem Gefolge haben, als da sind: Rücksichtsloses Hinopfern menschlichen Lebens, das als unantastbar sollte angesehen werden, bittere Not in so vielen Haushaltungen, Zerstörung wertvollen Eigentums, Störungen in der Erziehung der Jugend und in der Entfaltung des religiösen Lebens und allgemeine Verwilderung des Volkes. Selbst dann, wenn der Krieg vermieden wird, entzieht das Vorhandensein einer gewaltigen Kriegsmacht ganze Scharen von Männern dem Familienleben sowie den nützlichen Bestrebungen des Friedens; auch müssen zu dessen Aufrechterhaltung dem Volke schwere Lasten auferlegt werden. Dazu kommt noch, daß die kriegerische Entscheidung internationaler Streitfragen nicht auf den Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit beruht, sondern auf dem barbarischen Prinzip des Triumphes des Stärkeren.

Was uns ermutigt, diese Angelegenheit der wohlwollenden Betrachtnahme Eurer Majestät zu empfehlen, ist die Tatsache, daß bereits vieles erreicht worden ist. So zum Beispiel bei der Entscheidung des Genfer Schiedsgerichtes in der Alabamafrage, oder gelegentlich der Beratungen der amerikanischen Konferenz in Washington, anderer wichtiger Fälle zu geschweigen. Glückselig wird für die Welt die Zeit sein, wenn alle internationalen Streitigkeiten ihre friedliche Lösung finden werden!

Dies ist es, was wir ernstlich anstreben.

Bezüglich der Art und Weise jedoch, wie das Ziel erreicht werden kann, enthalten wir uns aller Spezialvorschläge, indem wir der überlegenen Einsicht und Weisheit Eurer Majestät auf dem Gebiete des politischen Lebens alles Weitere getrost überlassen.

Für Eurer Majestät Regierung und Volk, vor allem aber Eurer Majestät selbst, erflehen wir die reichsten Segnungen des Friedensfürsten.[381]


Von der Uebergabe an die anderen Staatsoberhäupter habe ich auch erfahren. Dem Präsidenten der französischen Republik überreichte es Frédéric Passy; in der Schweiz erhielt es der Präsident durch Elie Ducommun; der Bundespräsident erklärte, daß der Inhalt der Adresse vollkommen seinen Empfindungen und denen des Bundesrats entspreche. Dr. Trueblood aus Boston übernahm den Auftrag für Amerika, Marcuarto für Spanien und der Königin von England wurde die Adresse von Lord Salisbury überreicht. Auch der Zar hat es bekommen, es ist mir aber nicht bekannt, durch wen.

Daß die Aktion eine augenblickliche Wirkung haben würde, das haben wohl die Petenten selber nicht erwartet – – Samenkörner sind derlei ausgestreute Worte, oder noch ein besseres Bild – Hammerschläge. Neue Ideen sind wie die Nägel – alte Zustände und Institutionen sind wie dicke Mauern. Da genügt es nicht, den spitzen Nagel hinzuhalten und einen Schlag zu tun – hundert und hundertmal muß der Nagel getroffen und zwar auf den Kopf getroffen werden, damit er endlich sitze.

24

Ein Verein »Entente cordiale« zur Verbesserung der franco-englischen Beziehungen auf die Initiative des Deputierten Thomson und Hon. Ph. Stanhope unter Vorsitz Lord Dufferins.

25

In der Festung von Montjouy wurden die des Anarchismus Angeklagten gefoltert. Ein Brief, datiert 11. März und gezeichnet Sebastian Sunjé, adressiert an »alle guten Menschen des Erdballs«, drang in die Oeffentlichkeit: »O, bei allem, was Euch heilig ist – entreißt uns den Händen unserer Henker! –« Aber leider, »die guten Menschen des Erdballs« sind nicht organisiert, nicht mobilisierungsbereit. Sie können nur schaudern.

Quelle:
Bertha von Suttner: Memoiren, Stuttgart und Leipzig 1909, S. 373-382.
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