231. Der alte Mann im Gollenberge.

[272] Daß es in dem Inneren des Gollenberges gar sonderbar aussehen muß, hat man schon seit uralten Zeiten gewußt, obgleich Keiner recht genaue Kunde davon zu geben vermag. Nur ein Schäfer hat vor vielen Jahren Folgendes erlebt. Derselbe hütete eines Tages seine Schafe an dem Fuße des Berges, und war, weil es ein warmer Sommertag war, um die Mittagszeit unter einem Baume eingeschlafen. Auf einmal wurde er wach von dem Bellen seines Hundes, den er in das Gebüsch hineinlaufen sah. Er glaubte, es sey ihm ein Schaf gestohlen, und der Dieb damit in den Busch gelaufen. Er eilte daher seinem Hunde nach, der immer weiter lief. Zuletzt stand dieser vor einem großen Steine still, und kratzte und scharrte an demselben, wobei er fortwährend laut heulte. Dem Schäfer fiel dies auf, und er wurde neugierig, zu wissen, was der Hund haben möge. Er wälzte deshalb den Stein auf die Seite, und nun sah er eine große Oeffnung, die der Stein bedeckt hatte, und unter derselben ein tief in die Erde hineingehendes altes Gemäuer. In dieses stieg er hinein, und[272] kam an einen schmalen Gang, der in den Gollenberg hineinging und immer schmaler wurde. Der Schäfer ging ihn zu Ende, wohl eine ganze Stunde lang, bis er zuletzt an eine große eiserne Thür kam. Als er mit seinem Schäferstab an dieselbe stieß, fiel sie wie Staub auseinander, und er stand jetzt in einem großen und hohen Gemache, in welchem rund herum alte Waffen und Gemälde hingen. Auch die waren aber so alt, daß bei der geringsten Berührung Alles in Staub zerfiel. An dem Gemache war eine zweite Thür, der Schäfer stieß sie ebenfalls ein, und kam nun in ein anderes Gemach; in diesem saß an einem Tische ein ganz alter, alter Mann, in einer Kleidung, wie sie der Schäfer noch nie gesehen hatte; vor ihm lag Feder und Papier, auf dem Papier war noch etwas geschrieben, was man aber nicht mehr lesen konnte. Als der Hirt näher herantrat, fiel von der Erschütterung des Gehens Alles in Staub. Er ging darauf weiter durch eine dritte Thür, die er, wie die vorigen, mit seinem Stocke einstieß. Und nun war er auf einmal in einem großen Saale, der voller Schätze lag. Er sah hier ganze Haufen von goldenen und silbernen Geräthen; Säcke mit Gold- und Silbergelde standen in Reihen umher, und Perlen und Edelsteine lagen dazwischen. Da griff er mit beiden Händen zu, und steckte zu sich, so viel er zu fassen vermochte. Damit lief er zurück, so eilig er konnte. – Als er nachher wieder hin wollte, war Alles verschwunden; er konnte nicht einmal den Stein wieder finden, unter welchem der Eingang gewesen war.


Mündlich.

Quelle:
Jodocus Deodatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin 1840, S. 272-273.
Lizenz:
Kategorien: