257. Die todte Schlange.

[306] In der Barkowschen Haide liegt, nicht weit von dem Holzwege, der mitten durch die Haide geht, ein einsames Bauernhaus. In demselben wurde noch vor wenigen Jahren eine todte Schlange gezeigt, von der man sich Folgendes erzählt. In dem Hause wohnten vor langen Zeiten einmal Bauersleute, die nur ein einziges Kind hatten, ein Mädchen von vier Jahren. Im Sommer ließen sie das Kind vor dem Hause spielen, wohin sie ihm auch des Mittags seine Milch mit eingebrockter Semmel brachten. Wenn nun das Kind dies verzehrte, so kam jeden Mittag plötzlich eine große Schlange herbei, die sich zu ihm setzte, und mit ihm von der Milch trank und von der Semmel aß. Es fürchtete sich gar nicht vor derselben, wurde vielmehr so vertraut mit ihr, daß es sie ohne Scheu auf den Hals klopfte und zu ihr sagte, sie solle ihm nicht zu viel abtrinken. Seinen Eltern sagte es nichts hiervon. Als es aber eines Mittags viermal nach einander Milch forderte, da fiel dies der Mutter auf, und wie sie das letztemal die Milch hingebracht hatte, blieb sie hinter der Thür stehen,[306] um zuzusehen, was das Kind mit der vielen Milch anfange. Auf einmal sah sie die Schlange herbeikommen, welche die Milch aufzehren half. Darüber entsetzte sie sich, und sie rief ihren Mann zu Hülfe, der mit einem Knittel herbeikam, um das Thier todtzuschlagen. Das Mädchen weinte zwar sehr, und bat den Vater um Gnade für die Schlange; aber er tödtete sie doch. Von der Stunde an schwand das Kind an allen Gliedern, und nach wenigen Tagen war es todt.


Mündlich.

Quelle:
Jodocus Deodatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin 1840, S. 306-307.
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