6. Die Longobarden in Rügen.

[13] In uralten Zeiten war einmal eine große Theurung und Hungersnoth in Norwegen. Da traten die starken Leute auf, die des mittleren Alters waren, und wollten die Alten und die Jungen, als den schwächeren Theil, tödten, damit sie nicht Alle Hungers stürben. Dasselbe hat aber eine ehrbare Frau, Gamboir geheißen, abgerathen und gesagt, man sollte lieber das alte und junge untüchtige Volk an einen Haufen, und das starke Volk an einen anderen Haufen setzen, und das Loos darum werfen, wer aus dem Lande ziehen sollte; welchen Theil das Loos träfe, dem würden die Götter schon gute Wege zeigen. Solches gefiel ihnen Allen wohl und sie warfen das Loos. Das traf die starken. Dieselben mußten nun wegziehen, und kamen nach langem Streifen und Umherziehen zuletzt auf das Land zu Rügen. Daraus vertrieben sie die Rüger und setzten sich an deren Stelle fest im Lande. Und weil sie auf ihrer langen Reise die Bärte hatten lang wachsen lassen, hießen sie sich die Langbarte, welchen Namen sie auch behalten haben. Sie sollen auch die Stadt Barth erbaut haben, welche in ihrem Wappen noch ein Haupt mit einem langen Barte führt.

Diese Langbarte haben bei fünf Könige Zeiten auf der Insel Rügen und dem festen Lande gegenüber ge wohnt. Darauf sind ihrer aber wieder zu viele geworden, und die meisten von ihnen sind gezogen, zuerst an die Elbe, dann an die Donau, und zuletzt nach Italien hin, wo sie ein Land eingenommen, das jetzt mit einem etwas verkehrten Namen von ihnen die Lombardei heißet.

Die vertriebenen Rüger hatten sich nach Hinterpommern[13] gezogen, wo sie auch die Stadt Rügenwalde erbaut haben. Dort saßen sie ruhig, bis der Mehrtheil der Langbarte das Land zu Rügen also geräumt hatten. Da brachen sie auf, überfielen die zurückgebliebenen Langbarte, und nahmen ihre alte Heimath wieder ein. Die Langbarte zerstreueten sich überall im Lande umher, und wurden da von nun an Wandalen genannt.


Th. Kantzow, Pomerania. I. S. 24-26.

Quelle:
Jodocus Deodatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin 1840, S. 13-14.
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