77. Die hochmüthige Edelfrau zu Wusseken.

[115] Vor vielen Jahren war zu Wusseken am Jamundschen See eine sehr hochmüthige Edelfrau. Als dieselbe eines Tages zum heiligen Abendmahl ging und vor den Altar trat, da kam ein Schweinehirt gerade vor ihr zu sitzen, also daß der Priester ihm eher denn ihr das Abendmal hätte reichen müssen. Darüber wurde die Frau in ihrem Hochmuthe so wüthig, daß sie den Schweinehirten mit Gewalt zurückstieß, und zwar dergestalt, daß die Hostie dem Priester aus der Hand und zur Erde fiel. Allein der Zorn des Himmels über solche Frechheit offenbarte sich auf der Stelle. Denn die hingefallene Hostie war auf einmal blutig geworden, und die Edelfrau sank eben so plötzlich bis an die Kniee in die Erde hinein. Daraus konnte sie auch nicht eher wieder befreiet oder erlöset werden, als bis sie die Buße that, die ihr auferlegt wurde, und eine Pilgerfahrt nach Rom gelobte, um sich vom Papste selbst Ablaß für ihren Frevel zu holen. – Die Hostie aber wurde von der Erde aufgehoben, und weil sich ein Wunder des Himmels an ihr offenbart hatte, in eine Monstranz gelegt und[115] öffentlich ausgestellt, worauf jährlich eine große Wallfahrt dahin angestellt wurde, die lange Jahre gedauert hat.

Die Kirche, in der dieses geschehen, ist jetzt schon seit vielen Jahren zerstört, ihren Thurm sieht man aber noch in einem Eichenwäldchen bei Wusseken.


Micrälius, Altes Pommerland, I. S. 416.

Cramer, Gr. Pomm. Kirch. Chr. II. S. 79.

Pommersche Prov. Blätter II. S. 93.

Quelle:
Jodocus Deodatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin 1840, S. 115-116.
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