26. Verlangen der Seele, dem geheimen Zug der Liebe Gottes stillezuhalten

[371] Mel.: Mein Herzens-Jesu, meine Lust ... oder: Gott Lob, ein Schritt zur Ewigkeit ... oder: Es ist das Heil ...


1.

Verborg'ne Gottesliebe du,

O Friedensreich, so schöne,

Ich seh von ferne deine Ruh

Und innig dahin sehne.

Ich bin nicht stille, wie ich soll,

Ich fühl, es ist dem Geist nicht wohl,

Weil er in dir nicht stehet.


2.

Es lockt mich zwar dein sanfter Zug

Verborgentlich zur Stille,

Doch kann ich ihm noch nicht genug

Mich lassen, wie mein Wille;

Ich werd' durch mancherlei gestört

Und unvermerkt davon gekehrt.

So bleibet meine Plage.


3.

Daß du in mir dich meldest an,

Ich zwar als Gnad' bekenne,

Doch weil ich dir nicht folgen kann,

Ich's billig Plage nenne.

Ich hab' von ferne 'was erblickt;

O Liebe, könnt' ich unverrückt

Nur deiner Spur nachgehen!


4.

Mein eig'nes Wirken nutzet nicht,

Die Liebe davor fliehet;[372]

Ein allzufrei und stark Gesicht

Macht, daß sie sich entziehet.

O Liebe, setze mich in Ruh,

Schließ selber meine Augen zu,

Daß ich dich in mir sehe!


5.

Was ist es mehr, was hindert mich,

Daß ich nicht ein kann gehen

In deine Ruhe wesentlich

Und darin feste stehen?

Es ist dir ja, o Liebe, kund,

Ergründe du den tiefsten Grund

Und zeig die Hindernisse!


6.

Ist etwas, das ich neben dir

In aller Welt sollt' lieben,

Ach, nimm es hin, bis nichts in mir

Als du seist überblieben!

Ich weiß, ich muß von allem los,

Eh' ich in deinem Friedensschoß

Kann bleiben ohne Wanken.


7.

Entdeck, mein Gott, die Eigenheit,

Die dir stets widerstrebet,

Und was noch von Unlauterkeit

In meiner Seele lebet!

Soll ich erreichen deine Ruh,[373]

So muß mein Aug' gerade zu

Dich meinen und ansehen.


8.

O Liebe, mach mein Herze frei

Von Überlegen, Sorgen,

Den eig'nen Willen brich entzwei

Wie sehr er steckt verborgen!

Ein recht gebeugt, einfältig Kind

Am ersten dich, o Liebe, find't;

Da ist mein Herz und Wille.


9.

Ach nein, ich halte nichts zurück,

Dir bin ich ganz verschrieben,

Ich weiß, es ist das höchste Glück,

Dich lauterlich zu lieben.

Hilf, daß ich nimmer weiche nur

Von deiner reinen Liebesspur,

Bis ich den Schatz erreiche!


10.

Indessen zieh zu aller Stund',

Laß mich zu dir mich kehren,

Herr, rede du im Seelengrund,

Da laß mich stets dich hören;

Ach, setze mit Maria mich

Zu deinen Füßen inniglich!

Dies Eins will ich erwählen.

Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 371-374.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliches Blumengärtlein
Geistliches Blumen-Gärtlein Inniger Seelen; Oder kurtze Schluß-Reimen, Betrachtungen und Lieder uber allerhand Warheiten des Inwendigen Christenthums ...: [Reprint of the Original from 1735]

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon