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Wie der edle Ritter wieder eine Botschaft empfing von der schönen Magelone

[131] Der Ritter befand sich am folgenden Morgen wieder in der Kirche, weil er hoffte, von der Geliebten seiner Seele dort eine Nachricht zu Überkommen. Die Amme fand ihn, und es traf sich, daß sie beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte sich nach Magelonen und die Amme Gertraud erzählte ihm alles, worauf sie sagte: »Wenn Ihr mir versichert, Herr Ritter, daß Ihr mein Fräulein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, so will ich Euch auch nunmehr sagen, wo Ihr sie sprechen könnt.« Peter ließ sich auf ein Knie nieder und hob seine Finger in die Höhe. »Ich schwöre«, sagte er, »daß meine reinsten Gedanken stets um Magelone sind; ich liebe sie in aller[131] Zucht und Anständigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt, und so dies nicht wahr ist, so verlasse mich Gott in meiner allergrößten Not. Amen!« Die Amme war mit diesem Schwure wohl zufrieden, sie vertraute ihm nun gänzlich und sagte: »Ich sehe, daß Ihr nicht nur der tapferste, sondern auch der edelste Ritter seid auf Gottes weiter Erde; Ihr sollt Euch daher auch alles Beistandes von mir gewärtiget sein. Ihr seid glücklich in Magelonen und sie ist glücklich in Euch; macht Euch daher morgen nachmittag fertig, durch die heimliche Pforte des Gartens zu gehn, und sie dann auf meiner Kammer zu sprechen. Ich will euch allein lassen, damit ihr ganz unverhohlen eure Herzensmeinungen ausreden könnt.«

Sie nannte ihm die Stunde, und verließ ihn. Der Ritter stand noch lange und sah ihr im trunkenen Staunen nach, denn er vertraute dem nicht, was er gehört hatte. Das Glück, das er so sehnlichst erharrt, rückte ihm nun so unerwartet näher, daß er es im frohen Entsetzen nicht zu genießen wagte. Der Mensch erschrickt über den Zufall, selbst wenn er ihn glücklich macht; wenn unser Schicksal sich plötzlich zur Wonne umändert, so zweifeln wir in diesem Augenblicke gar zu leicht an der Wirklichkeit des Lebens. Dies dachte auch Peter bei sich, als er alle seine Sinne in trüber Verwirrung bemerkte. »Wie bin ich so vom Glücke überschüttet«, rief er aus, »daß ich gar nicht zu mir selber kommen kann! Wie wohl würde mir jetzt ein Besinnen auf meinen Zustand tun, aber es ist unmöglich! Wenn wir unsre kühnen Hoffnungen in der Ferne sehn, so freuen wir uns an ihrem edlen Gange, an ihren goldnen Schwingen, aber jetzt flattern sie mir plötzlich so nahe ums Haupt, daß ich weder sie noch die übrige Welt wahrzunehmen vermag.«

Er ging nach Hause, und glaubte in manchen Augenblicken, die Zeit stehe seit der Stunde still, in der er die treue Amme gesprochen hatte, denn es wollte nicht Abend werden; als es Abend war, saß er ohne Licht in seiner Kammer und betrachtete die Wolken und Sterne, und sein Herz schlug ihm ungestüm, wenn er dann plötzlich an sich und Magelonen dachte. Er glaubte nicht, daß es wieder Tag werden könne, und daß es die bezeichnete Stunde wagen werde, heraufzukommen. Eingedämmert von Erwartungen, banger Sehnsucht und ängstlicher Hoffnung, schlief er auf seinem Ruhebette ein, und erwachte, als muntre Sonnenstrahlen in seine Kammer hereinspielten, und hell und fröhlich an den Wänden zuckten.[132]

Er raffte sich auf, und dachte, was er ihr sagen wolle; er erschrak jetzt vor dem Gedanken, daß er sie sprechen müsse; dennoch war es sein herzinniglichster Wunsch, er konnte sich nicht besänftigen, darum nahm er die Laute und sang:


»Wie soll ich die Freude,

Die Wonne denn tragen?

Daß unter dem Schlagen

Des Herzens die Seele nicht scheide?


Und wenn nun die Stunden

Der Liebe verschwunden,

Wozu das Gelüste,

In trauriger Wüste

Noch weiter ein lustleeres Leben zu ziehn,

Wenn nirgend dem Ufer mehr Blumen entblühn?


Wie geht mit bleibehangnen Füßen

Die Zeit bedächtig Schritt vor Schritt!

Und wenn ich werde scheiden müssen,

Wie federleicht fliegt dann ihr Tritt!


Schlage, sehnsüchtige Gewalt,

In tiefer treuer Brust!

Wie Lautenton vorüberhallt,

Entflieht des Lebens schönste Lust.

Ach, wie bald

Bin ich der Wonne mir kaum noch bewußt.


Rausche, rausche weiter fort,

Tiefer Strom der Zeit,

Wandelst bald aus Morgen Heut,

Gehst von Ort zu Ort;

Hast du mich bisher getragen,

Lustig bald, dann still,

Will es nun auch weiter wagen,

Wie es werden will.


Darf mich doch nicht elend achten,

Da die Einzge winkt,

Liebe läßt mich nicht verschmachten,[133]

Bis dies Leben sinkt;

Nein, der Strom wird immer breiter,

Himmel bleibt mir immer heiter,

Fröhlichen Ruderschlags fahr ich hinab,

Bring Liebe und Leben zugleich an das Grab.«


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 131-134.
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