Der Minnesänger

[155] Die Geliebten und die Schönen

Weinen,

Daß der Frühling mit den Kränzen,

Mit der Blumen süssem Glänzen,

Mit den Nachtigallen Tönen,

Im Erscheinen

Nur so kurze Zeit mag weilen,

Daß er mit den Vögeln, Düften, Farben muß so schnelle eilen.
[156]

Freilich ist es nur ein Träumen,

Spielend

Kommt das Kind in unsre Auen,

Wie wir in die Bläue schauen

Seines Blicks, in Himmels-Räumen,

Lieblich fühlend

Wie ein Fest uns soll beginnen,

Flog der Lose boshaft, wenn wir rückwärts schauen, schon von hinnen.


Alle Blüthen sind verstreuet,

Grünen

Möchte Laub und Gras so treulich,

Blumen möchten seyn erfreulich,

Doch das Jahr ist schon entzweiet;

Und erschienen

Ist der Sommer mit den Früchten,

Nachtigall sieht alles reifen muß in andre Frühling' flüchten.
[157]

Holde Liebe, süße, treue,

Klagen

Muß ich, daß wie Wolkenschauer

Plötzlich kommt die Angst und Trauer;

Machst du erst das Jahr so neue?

Muß ich fragen,

Ach wie grausam, daß so balde

Ich allein gelassen von Gesang und Licht und Duft im Walde?


Ja der Frühling muß entweichen,

Freuden,

Alle frohen goldnen Stunden

Haben bald den Tod gefunden,

Blumen, Lichter, Farben bleichen,

Wälder kleiden

Sich in grünen Schmuck und prangen,

Ziehn das Kleid aus, trauern stille, wann die Hochzeit ist vergangen.
[158]

Darum pflückt die Garten-Sterne

Sinnend

Gern das liebesschwangre Herze,

Trägt sie wie die glimmende Kerze

Still behutsam nur so ferne,

Daß sie brennend

Des Geliebten Hand mag fassen,

Und der lächelt in die Flamme, die am Abend muß verblassen.


Doch er ließt den Liebesmuth

Freudig

In dem zarten bunten Kinde,

Druckt das Zeichen dann gelinde

An die rothe Lippengluth,

Seufzt: was leid' ich!

Warum sollten doch wohl pflegen

Gärtner helle Rosen, könnten Liebesherzen sie nicht hegen?
[159]

Also muß ein liebes Singen

Innig,

Wie es flüchtig geistig schwebet,

Kaum bewußt sich, daß es lebet,

Das geliebte Herz durchdringen:

Ach, das bin ich!

Klagt die Seele in die Töne,

Um so kürzer euer Leben, um so mehr nur hold und schöne.


Was soll Liebe doch wohl lieben,

Liebe,

Als das schöne arm Vergängliche?

Pflegen muß sie zart die kränkliche

Freude, und sich daran üben,

Denn sie bliebe

Nicht die Liebe, wenn das eine,

Was da ist und bleibt, ihr Wunsch wie Freude sollte seyn alleine.
[160]

Was noch zarter ist als Töne,

Scherzend

Mehr als Melodie und Düfte,

Selber nicht berührt die Lüfte,

Lebend in der eignen Schöne

Lieblich scherzend? –

Ach es sind die Liebsgedanken

Die in Wehmuth, Sehnsucht, Andacht, wie in Blumenkelchen schwanken,


Wem die Lippen sind verschlossen

Klängen,

Wem nicht Blumen Winter giebet

Und er treu und sehnlich liebet

Ganz von Ahndungen umflossen,

In Gefängen

Muß sein Herz heimlich zerrinnen,

Wunsch, Andenken ewiges, sind die Blumen, die er kann gewinnen.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 1, Heidelberg 1967, S. 155-161.
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