Die Rose

[92] Romanze.


O beglückt, beglückt, du Persien!

Persien, Wunderland des Morgens!

Süße Fluren, heil'ge Wälder,

O du Glanz des vollen Stromes,

Meer mit deinem weiten Spiegel,

Luft mit deinem lieben Othem,

Quellen, mächtige Gebirge,

Heimath, wo die Lieder wohnen!

Aber ihr vor allen, Gärten!

Seid gegrüßt mir, Lauben, dorten

Möcht' ich auf den Fluren wandeln,

Wann sie blühen roth von Rosen.

Rose, liebste Mädchenblume!

Rose, die du dort geboren!

Ach, wie ist ein Liebesblut[93]

Das Gefilde, wann du oben

An Gesträuchen blühend dichte

Wankst und zitterst mit den Knospen,

Und die heißen Sommerwinde,

In der Farbengluth verloren,

Kühlend baden, sich berauschen:

Nein, so schön ist nichts geworden

Was die Erde liebend treibet,

Was vom Himmel schaut die Sonne,

Als flatternd auf grünem Stengel

Meine liebste rothe Rose;

Rose, liebste Mädchenblume,

Liebesblume, süße Rose!


Wie ich dich in Händen halte,

Die zur Lieb' ich mir erkohren,

Und ich schau' in deine Blätter,

In das Labyrinth, das rothe,

Und ich frage die Bedeutung[94]

Und wie du zur Welt geboren,

Bin ich trunken und weissagend

Süssen Rausches aufgehoben;

Liebesblume, Mädchenblume,

Rosenblume, süße Rose.


Nicht umsonst bist du erst quillend

Eingehüllt in deiner Knospe;

Also schläft des Mädchens Busen,

Eh die Liebe ihn erhoben:

Und das Noth, ein heimlich Feuer,

Bricht hervor süß angeschwollen,

Und wie ein verstohlen Küßchen

Hängst du an dem Zweig gebogen:

Aber inniger entbrennen

Lüfte, die dich aufgesogen,

Immer süsser träumst du Liebe,

Hast die Luft in dich gezogen,

Immer buhlerischer küsset[95]

Dich das Licht, das dir gewogen,

Und du lässest nun die Schaam,

Und es dringt zu deinem Schooße

Alle Kraft des heil'gen Aethers,

Seine Pfeile, glänzend golden. –

Mußt du welken in der Liebe

Mädchenblume, süsse Rose?


Als die Göttinn sonst der Liebe

Venus auf der Erden wohnte,

Und zum erstenmal sie wandelnd

Trat der grünen Wiese Boden,

Jungfrau noch und unvermählet

Aus dem Meere jüngst entsprossen, –

Aus der Zeugungskraft des Wassers

War das Licht empor geflogen, –

Und sie stand, sich selbst besinnend,

Selber über sich betroffen,

Ihre Schönheit, ihre Anmuth[96]

Mußte Venus selber loben,

Und der Himmel glänzte heller

Wie den Blick sie aufgehoben,

Und die Erde grünte grüner

Von dem Fuß getreten, stolzer

Sangen murmelnd blaue Bäche

Von dem Widerschein vergoldet,

Und die Tauben girrten inn'ger,

Und die Nachtigall schlug voller,

Hub und breitete ihr Lied aus

Wie ein Kleid von süssem Wohllaut,

Deckte Wald mit und Gefilde,

Daß die Bäume treibend quollen.

Noch nicht war die Liebesblume

Lebend, meine süsse Rose.


Aus dem Walde tritt ein Jüngling,

Und wie Flammen angezogen

Fliegen zündend ihre Blicke,[97]

Brennen nicht mehr hier und dorten,

Beider Blick ist jetzt nur einer,

Liebe, einsam noch und ohne

Liebe, wird nun bang und feurig,

Fühlt sich zweifelnd neu geboren.

Doch der Jüngling tritt zur Jungfrau;

Und sie halten sich umschlossen,

Und die Unschuld lehrt sie küssen,

Und es treibt zum süssen Zorne

Wie sie sehnen und ermatten,

Kaum erkannt ein Liebeswollen:

Und im Sträuben und Ergeben

Löset sich der wunderholde

Zauber, Liebe wird zur Liebe,

Und der Flur wird von dem Zorne,

Von den Küssen, von der Milde

Ein Andenken wie zum Zolle

Dargebracht; dem heil'gen Blut

Zittert gleich das Feld voll Wollust,[98]

Und es rauschen und es treiben

Quillend ungestüm die rothen

Blumen her, bedecken blutig,

Lächelnd, küssend, voll und voller,

Knospend, blumend, ganz den Anger,

Und die Göttin weiht die Rose

Zu dem Eigenthum der Liebe:

Also wurdest du geboren

Mädchenblume, Liebesblume,

Rosenblume, süsse Rose.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 1, Heidelberg 1967, S. 92-99.
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