Die Geige

[257] Sonate.


O weh! o weh!

Wie mir das durch die ganze Seele reißt!

In's Henkers Nahmen, ich bin keine Flöte!

Wie kann man mich so quälen,

Alle meine Töne unterdrücken,

Und kneifen und schaben und kratzen,

Bis ein fremdes quinkelirendes Geschrey herausschnarrt?

Ich kenne meine eigene Stimme nicht wieder,

Ich erschrecke vor mir selber

In diesen unwohlthätigen Passagen.

Ei! ei! daß ein andrer Geist

Doch auch einmal so mit dir umspringen möchte,

Damit du alle Menschlichkeit verläugnen müßtest

Und dich dem Thiere gleich gebehrden.[258]

Innerlich schmerzt mich die Musik

Die da unten wohnt und von wilden Klängen vernichtet wird,

Eine Kolik ängstigt mich durch und durch,

Der Resonanzboden wird von Gicht befallen,

Der Steg winselt und wimmert.

Wie ein Clarinett soll ich mich gebehrden,

Jetzt dem Basson verglichen werden,

Er reißt mir noch die melodische Zunge aus,

Lange werd' ich liegen müssen und mich besinnen,

Eh' ich diesen Schrecken verwinden kann.

Ei so kneif, du kneifender Satan!

Es wird ihm selber sauer,

Es neigt zu Ende mit der verfluchten Sonate,

Ach weh! o weh'! o! welche Gefühle!

Die Ribben, die Seiten, der Rücken,

Alles wie zerschlagen! ––

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 2, Heidelberg 1967, S. 257-259.
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