Schrecken des Zweifels

[233] Es funkelt Gold in wilden Trümmern,

Tief im verborgenen Gestein,

Ich sehe ferne Schätze schimmern,

Mich lockt der räthselhafte Schein.


Und hinter mir fällt es zusammen,

Ha! um mich her ein enges Grab,

Die Welt, der Tag entflieht, die Flammen

Der Kerzen sinken, sterben ab.


Die Hand klopft zitternd an die Wände,

Der unterird'sche Wandrer schaut

Nach Licht und Rettung, ohne Ende

Das Dunkel! – Ihn erquickt kein Laut.
[234]

Er hämmert in den Felsgemächern

Mit einer dumpfen Lebensgier,

Gefangen von den dunkeln Rächern,

Zur Strafe seiner Wißbegier.


Da äugelt aus der fernsten Ritze

Ein blaues Lichtchen nach mir hin,

Ich krieche zu der schroffen Spitze,

Und taste mit entzückten Sinn.


Und ach, es ist das Goldgestein,

Das mich zuerst hierher versucht,

Nun labt mich nicht der Flimmerschein,

Der boshaft mich zuerst versucht.


Es sehnt der Geist sich nach dem Bande,

Das ihn mit zarter Fessel hielt,

Als er sich wie im Vaterlande

In seiner stillen Brust gefühlt.
[235]

Fern liegt das heimische Gestade

Um wilden Taurien verirrt,

Kniet er umsonst und flehet Gnade,

Das blut'ge Opfermesser klirrt!


Doch Blumen blühn in diesen Schrecken,

Die hell mit rothem Purpur glühn,

Die Todesschatten, die ihn decken,

Sie lassen prächt'ge Funken sprühn.


Liegt alles nur im Sinnenglücke?

Vereint sich jeder Ton zum Chor?

Für tausend Ströme eine Brücke?

Gehn alle Pilger durch dies Thor?


So öffnet mir die dunkeln Reiche,

Daß ich ein Wandrer drinnen geh,

Daß ich nur einst das Ziel erreiche

Und jedes Wunder schnell versteh.
[236]

Eröffnet mir die finstern Pforten,

An denen schwarze Wächter stehn,

Laßt alle gräßlichen Kohorten,

Mit mir durch jene Pfade gehn!


Je wildre Schrecken mich ergreifen,

Je höher mich der Wahnsinn hebt,

So lauter alle Stürme pfeifen,

Je ängstlicher mein Busen bebt,


So inniger heiß ich willkommen

Was gräßlich sich mir näher schleift,

Dem ird'schen Leben abgenommen,

Zum Geister-Umgang nun gereift.

Alles Wilde, was ich je gedacht,

Alle Schrecken, die ich je empfunden,

Rückerinn'rung aus der trübsten Nacht,

Grauen meiner schwärz'sten Stunden,

O vereinigt euch mit meinen Freuden,[237]

Stürmet alle um mich her,

Schlinget euch an alle meine Leiden,

Fluthet um mich gleich dem wilden Meer,

Daß das Morgenroth sich in dem Abgrund spiegle,

Graun und Schrecken meine Heimath sey,

Daß der Wahnsinn immer rascher mich beflügle,

Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle,

Nur Erynnen! gebt mich von den Zweifeln frey!

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 2, Heidelberg 1967, S. 233-238.
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