25. Karl Wilmont an Mortimer

[697] Neapel.


Es ist geschehen: wir sind beide zur Ruhe, er und ich. Von Lovell ist die Rede. Ich fand ihn in Rom; er erschrak, als er mich erblickte, und suchte sich seit der Zeit vor mir zu verbergen. – Ich gab acht auf ihn, und traf ihn am folgenden Morgen ganz früh auf der Straße. Er konnte mir nun nicht entrinnen; er mußte mir folgen.

Ich hatte zwei Pistolen bei mir; er war still und in sich verschlossen. Wir gingen durch die Porta Capena und von da durch die Ruinen. Er schien fast außer sich zu sein, denn er sprach für sich verwirrte Reden. Wir kamen vor einem kleinen Hause vorbei, er stand lange still und sah in das Fenster hinein, bis ich ungeduldig wurde und ihn weitertrieb. Er sah auf, brach aus einem kleinen nebenliegenden Garten eine Malve ab, und rief mit Verwunderung aus: die Malven blühen schon wieder! – Dann heftete er die Blume auf seine Brust und sagte, daß ich nun sein Herz nicht verfehlen könne.

Wir waren jetzt von der Landstraße entfernt genug. Wir maßen unsre Plätze; er nahm ein Pistol. Nachdem er sich noch einigemal umgesehen hatte, drückte er los und verfehlte mich: ich schoß, und die Blume und seine Brust waren zerschmettert. – Ich eilte nach Neapel.

Und jetzt bin ich mit mir unzufrieden. Es ist mir unbegreiflich, wie das rohe Gefühl der Rache mich so bezaubern konnte, daß er mich nicht rührte. Konnt ich ihm nicht dies ärmliche Leben lassen, da er außer diesem vielleicht nichts besessen hat? – Was ist mir und Emilien damit geholfen, daß er die Luft nicht mehr einatmet? –

Adieu! – Ich fahre von hier nach Amerika. Der Krieg lockt mich dahin; es wird in der englischen Armee wohl eine Stelle für einen Lebenssatten übrig sein, der sich dann wenigstens noch einbilden kann, zum Besten seines Vaterlandes zu sterben. – Grüße meine Schwester und Eduard.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 697.
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