Dreizehenter Brief.

Wilhelm an Heinrich.

[103] Liebster Heinrich!


Wir sind nun schon seit sechs Wochen in L**, aber es gehet uns so miserabel, daß ich morgen trocknes Brod essen muß, wenn ich das Postgeld für diesen Brief wieder einbringen will; und dennoch thue ich es deinetwegen mit Vergnügen.

Als wir hier ankamen, begaben wir uns in den Gasthof zum rothen Greif. Man räumte uns auf mein Verlangen ein eigenes Zimmer ein, denn ich gab Fiekchen für meine Frau aus; aber der Gastwirth mochte gleich merken, wes Geistes Kinder wir wären, denn er lächelte recht heimtückisch, sagte aber weiter nichts.[104]

Sobald wir Abends gegessen hatten, legten wir uns nieder, und schliefen gleich ein, denn wir waren von der Reise müde. Des andern Morgens um neun Uhr zogen wir uns an, und giengen spatzieren. Ich führte Fiekchen am Arme, und bildete mir nicht wenig darauf ein, mein eigenes Mädchen zu haben. Als wir nach Hause kamen, war schon der Tisch gedeckt, und wir aßen wie Fürsten. Den Nachmittag giengen wir wieder aus; aber das Abendgebeth war kaum geläutet, so lagen wir auch schon im Bette. Erst in dieser Nacht fühlte ich die Größe meines Glückes. – Was das für eine Herrlichkeit ist, so ein hübsches Mädchen ganz nackend im Arme zu haben, und dessen ganze Wärme zu fühlen! – Ich sattelte ihr gleich auf, sie schlang sich um mich, wie eine Rebe; und wir zerarbeiteten uns so, daß früh Morgens eine Menge Stroh am Boden lag, das wir heraus gerammelt hatten; wir richteten aber alles wieder zurechte.[105]

Vierzehen Tage hatten wir so gehauset, als der Wirth kam, der vermuthlich nicht viel Geld bei uns suchte, und uns die Rechnung brachte. Sie betrug dreißig Thaler. Ich erschrak heftig darüber, ließ mir aber nichts merken. Wie er fort war, holte ich mit Zittern meinen Beutel, (denn unsere Kasse war gemeinschaftlich) und da ich es aufgezählet, trug ich es hinunter in die Schenkstube. Wir hatten nur noch zwei Thaler übrig, und ich weinte, als ich wieder zu Fiekchen kam, sie aber schien sich um nichts zu bekümmern; dennoch stimmte sie mir bei, daß wir unser Quartier alsobald verändern müßten.

Wir zogen also in den Tyger, aber da trafen wir es erst gut. – In vier Tagen war nicht allein unsere Baarschaft fort; sondern wir mußten noch alles, was wir hatten, an Juden verkaufen, und blieben doch noch neun Groschen schuldig.[106]

Da ich das letzte Hemd vermöbelt hatte, und eben unter der Thüre mit Fiekchen schmerzliche Betrachtungen anstellte, kam ein Mann von kleiner Statur zu uns, und that verschiedene Fragen. Er hatte schon von unseren Umständen gehöret, und sagte zu Fiekchen, er hielte im Hause Tanzboden: wenn sie tanzen könnte, wolle er ihr täglich drei Groschen geben. Fiekchen tanzt wie ein Engel, (sie hat's von einem Schuhknecht gelernet). Sie nahm sein Erbieten an, und da er sie im Tanze so stark fand, legte er ihr sechs Pfennige zu; und das sind unsere ganze Revenüen. Fiekchen braucht alltäglich zwei Groschen zu Rosinen und Mandeln; du wirst dir also leicht vorstellen, was wir für Sprünge machen können.

Der Tanzboden ist über dem Pferdestall. Es kommen in der Woche Studenten, die sich üben, und Sonntags Handwerkspursche. Die Person zahlet achtzehen Pfennige Entree; hingegen[107] ist der Boden auch nur mit zween blechernen Leuchtern besetzet, und die Musik bestehet aus einer einzigen Violine.

Nun haben wir also unser Glück gemachet. – Bedenke nur, was ich da fühlen muß, wenn ich mein allerbestes Mädchen von Schlössergesellen so herumreißen laßen, und noch zusehen muß. – Überdies schwitzet der Engel nach dem Tanze immer wie eine Sau, und hat nur noch ein einziges Hemde auf dem Arsche. O Heinrich, was will aus uns werden? – – Ich kann für Wehmuth nicht mehr schreiben, als daß ich bin


Dein Wilhelm.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 103-108.
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