Neunzehenter Brief.

Fiekchen an Ernestinchen.

[133] Bestes Ernestinchen!


Nun kann ich dir doch einmal wieder mit freudigem Herzen schreiben, denn ich bin wieder in guten Umständen; aber aber – bis ich so weit gekommen, habe ich mir manchen rauhen Wind unter die Nase müssen gehen lassen.

Der Herr Magister besuchte mich noch oft, und ich ersparte mir so viel an ihm, daß ich mir etliche alte Hemden, und eine übertragene Kantusche anschaffen konnte. Ich war dadurch im Stande, mich wieder mit Ehren auf der Gasse zu zeigen. Wo ich vor einem Hause vorbei gieng, sagten Männer und Weiber: »Das ist ein hübsches Mädchen.« – Du kanst nicht glauben,[134] wie mich das kitzelte; ich dachte aber: – ja, wenn ich was davon hätte. – Wilhelm gieng Anfangs mit mir; da setzten sie denn immer dazu: »nur schade, daß sie sich mit dem schäbigen Jungen schleppt.« – Da wir nun einmal nach Hause kamen, bat ich mir's expresse von ihm aus, daß er mich nicht mehr begleiten sollte.

Tages darauf gieng ich wieder aus, Zucker und Kaffee zu holen. Der Kaufmannsjunge machte mir verschiedene Karessen, und frug mich, wo ich wohnte. Da ich es ihm gesagt hatte, gab er mir noch einmal so viel Zucker, als ich verlangte, und drückte mir, als er mir das Geld heraus gab, das eben so viel in Münze betrug, als ich ihm im Ganzen gegeben hatte, mit vieler Zärtlichkeit die Hand; wobei er mir seinen umgeschlagenen Mittelfinger vest darein drückte, und mich zu besuchen versprach. Ich glaube, dieses Fingereinschlagen muß so ein gewisses[135] Zeichen seyn, wie etwa, der Sage nach, die Freimaurer haben. Vielleicht sah er mich für eine freie Mauer an, und da hatte er nicht Unrecht; denn ich lasse mir zu allen Zeiten Kalch anwerfen, so viel Einer will.

Den andern Morgen, am Sonntage, trat er zu Thüre herein. Wilhelm sah ihn gewaltig über zwerch an; als ich aber vorgab, daß mein und sein Papa auf einer Schule gewesen wären, ließ er sein Mistrauen fallen. Er brachte mir ein Pfund Schokolade, nebst einer großen, großen Tüde voll Rosinen und Mandeln. Damit traf er recht meinen Geschmack. Um Wilhelm los zu werden, winckte ist ersterem, lud ihn auf eine Chokolade ein, und Wilhelm mußte nach Milch, mit welcher er so geschwind nicht wiederkommen konnte. Der Kaufmannsjung frug mich itzt, ob ich mich nicht einen Liebesdienst erweisen wollte: und da ich äußerte, wie ich mich glücklich schätze, unter dem[136] Schirm seiner Flügel zu liegen, und zugleich bei dem letzten Worte über meine Schuhe stolperte, und auf den Rücken ins Bett fiel, ließ er mich nicht mehr auf und fieng mich gleich zu kalkuliren an.

Er wußte sehr gut damit umzugehen; ausgenommen, daß er mich mit seinen rauhen Händen, die er mir unter die Hinterbacken legte, fast die Haut aufgekratzet hätte. Er that abgesetzte, ernsthafte Stöße, rüttelte auch zuweilen, wie mit seiner Mörserkeile vor dem Gewölbe. Das einzige versah er, daß ihm währender Arbeit ein ziemlicher (mit Salvenia) entfuhr, das ich ihm aber auch nicht übel nehmen kann; denn die Kaufmanns jungen müssen die ganze Woche über genug an sich halten, damit sie den Safran nicht verstänkern: da ist es dann kein Wunder, wenn sie Sonntags etwas verlieren.[137]

Wir waren kaum fertig, und hatten uns wieder in Ordnung gerichtet, so erschien Wilhelm. Der Kaufmannsjunge wollte jetzt nicht mehr auf die Chokolade warten, und gieng sogleich davon.

Von ohngefähr sah ich auf dem Bette eine Tüde liegen, die ich geschwind aufmachte, und mit lauter Pfennigen und Dreiern, und etwelchen wenigen ganzen Groschen gefüllet fand. Werden vermuthlich die Pfefferpfennige gewesen seyn, die er aus der Büchse erlöset, und die währendem Manoeuvre ihm aus dem Sacke fielen. Ich machte so meine Betrachtungen darüber, in wie vielerlei Hände wohl alle diese Münzen vor einer Woche gewesen seyn möchten, und band sie in meinen Hemdezipfel mit einem Bändchen in ein Knaul zusammen, und trug sie so unter dem Rocke.

Von dieser Stunde an hatte ich wieder[138] lauter Unglück. Ich gieng Abends in die Komödie, und sah da einen uralten Herrn mit einem Stern an der Brust auf dem Parterre herum schleichen, der gar nicht Acht auf das Stück gab; sondern mit dem Fernglas immer in die Höhe herum sah, und unter andern mich eine ganze Stunde lang beguckte. Mit unter nickte er mit seinem grauen, ehrwürdigen Haupte, als wenn ich seine Approbazion hätte. Dies dauerte, bis das Stück aus war, und ich sah ihn dann nicht mehr.

Der andere Tag war der unglückseligste für mich, der mir jedoch in der Folge sehr nützlich wurde. Ich gieng in das Kaufmannsgewölbe um eine Muskatennuß. Auf dem Rückwege folgte mir der Markthelfer auf dem Fuße nach. Ich wußte nicht was das bedeute; aber kurz darnach kam der Hausknecht, und sagte mir, daß sich jener bei ihm nach mir erkundigt, und wie er wieder gegangen, auf dem Rückwege[139] lauter kleine Münze aufgeklaubet hätte. Sobald er weg war, sah ich nach meinem Hemde und fand, daß der Knollen ein Loch bekommen, und ich das meiste Geld verloren hatte.

Ich konnte mir nun das Räthsel leicht erklären, und befurchte üble Folgen. Es traf auch richtig ein. Nach mittag kamen einige Polizeidiener, visitiertten Alles aus, und nahmen weg, was sie fanden. Ich mußte mit ihnen auf's Rathaus wandern. Sobald ich vor den Polizeikommissär gebracht wurde, frug er mich, ob mir nicht ein Kaufmannsjunge Geld und Waaren zugestecket hätte. Ich läugnete gerade weg. Itzt kam er auf den Artikel, daß ich auf dem Heimwege Geld verloren, welches ich vermuthlich aus dem Gewölbe mitgenommen hätte. Hier hob ich meinen Rock auf, und zeigte ihm den Bund im Hemdezipfel, bewieß ihm auch, daß ich den nicht erst im Gewölbe hätte machen können.[140]

Ich weiß nicht, ob meine Vertheidigung, oder die Zeigung meines Hemdes seine Strenge gemildert hatte. Er erklärte mich den Augenblick für unschuldig, wollte aber doch, Sicherheitswegen, das Polizeisiegel auf meine Unschuld drücken. Ich mußte mit in sein Expedizionszimmer gehen; er schloß die Thüre ab, und – ließ mich gehen. »Noch eins, sagte er: – wir wollend mit einander nicht verderben. Wenn du einmal einen guten Fang weißt, so gieb mir Nachricht. Du sollst die Hälfte davon haben, und nie bestrafet werden.«

Abends war ich schon wieder zu Hause; doch, ob mir gleich der Kommissär versprochen hatte, daß ich alles Weggenommene wiedererhalten sollte, so brachte man mir doch nicht alles. Da muß ich denn schon das Kreutz darüber machen. Der Kaufmannsjunge bleibt itzt mit seinem Weihrauch und Myrrhen auch sauber aus; im Gegentheil,[141] wenn er mir auf der Gasse begegnet, so thut er, als ob er mich gar nicht kennte. Indessen habe ich schon wieder von andern Seiten her einige Leibrenten gezogen, die mir unser Hausknecht gegen etliche Freibillets zugewiesen hat. Lebe wohl. Ich bin


Dein Fiekchen.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 133-142.
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