Ein und zwanzigster Brief.

Ernestinchen an Fiekchen.

[155] Liebstes Fiekchen!


Deine Umstände waren traurig, und meine werden es itzt. Ich bin nicht mehr des Herrn Rittmeisters Geliebte, sondern blos eine Vettel. Und wer ist daran Schuld? Ein neuer, gelbschnäblichter Kadet. Das Pürschchen kam erst von der Mama; hatte zwo Sackuhren, Ringe, silberne Sporen, aus beiden Säcken weisse Schnupftücher hängen; und war überhaupt geputzt, wie der Herzkönig in der französischen Karte. Er machte mir Cour, gefiel; und ach! da er mir seine Willensmeinung eröffnete, einen Türken mit mir zu schießen, bot ich ihm meinen Schoß zur Batterie an.[156]

Wenn ich gleich nicht glaube, daß mich der Himmel unmittelbar wegen meiner Untreue am Herrn Rittmeister gestrafet habe; so brachte mich doch dieser erste Schritt zu weiteren Proben; denn ich dachte: einer mehr, oder weniger ist nun gleichviel. In Kurzem ließ ich den Adjutanten bei mir abtheilen; dann erlaubte ich dem Paucker einen Wirbel; diesem folgte der Sattler mit dem Pfriem; und endlich ließ ich mir auch vom Schwadronsschmidt ein Eisen aufschlagen.

Einmal Abends begleitete mich Letzterer von einem Spatziergange bis zum Hause wo er mir noch einen Kuß gab, und mich verließ. Da ich zur Thüre kam, wo die Schildwache stand, redete mich der Reiter an, und drohte, es dem Herrn Rittmeister zu melden. Ich bat ihn um alles in der Welt, daß er mich nicht verrathen möchte; ich konnt' ihn aber nicht eher zu seinem Versprechen bringen, als bis ich mich entschloß,[157] mit ihm in das Schilterhaus zu treten, welches dicht an einem kleinen Bache stand. Er lehnte mich darinnen an, und schob mich, daß mir die Seele aus dem Leibe hätte fahren mögen; überdies rieb mir das Schlos seiner Pallaschkuppel fast den Bauch auf. Zum größten Unglück war das Schilterhaus ohne Fundament, und nur so hingestellt, wie ein Meisenkasten. Da nun der Kerl den Kuiras anhatte, und alle Gewalt anwandte, bekamen wir das Übergewicht, und fielen mit sammt dem Hause in den Bach.

Wir wollten uns in der Stille heraus helfen: weil er sich aber im Falle mit der Pallaschscheide in meine Röcke verwickelt hatte, machten wir ein gewaltiges Geplätscher: da kam denn der Korporal, seinem Reuter zu helfen, und sah den wunderlichen Scharmützel. Um seinen Rittmeister nicht zu beleidigen, ließ er mich laufen. Ich schlich ins Zimmer, mich umzukleiden;[158] doch ehe ich es vollenden konnte, war mein Herr da. Er wußte schon die ganze Geschichte, nahm im ersten Zorn die Hundspeitsche, und hieb mich ein Paar mal im Zimmer herum; der Reiter aber bekam den andern Tag dreißig Prügel. Da war denn der Estim auf einmal dahin.

Er versöhnte sich zwar mit mir in Kurzem wieder, und hat mir seitdem verschiedene Proben seiner Vergebung bei Tag und im Finstern gegeben; allein er ist doch der Vorige nicht mehr, und ich merke, daß er mich itzt mehr zu seiner Nothdurft, als aus Liebe um sich leidet. Ich zweifle sehr stark, liebstes Fiekchen, daß ich seine vorige Zärtlichkeit wiedererhalten werde, da ich ihn so beleidiget habe; doch will ich all mein Möglichstes thun. Ich bleibe


Dein Ernestinchen.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 155-159.
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