Neunter Brief.

Wilhem an Heinrich.

[67] Liebster Heinrich!


Wenn du die Wirthschaft ansähest, die itzt bei uns ist; so weiß ich gewiß, daß du für Lachen krank würdest. Ich schrieb dir letzthin, daß Fiekchens Papa den Hannswurst, und seine Frau bekehren wolle; und nun scheinet es, sie haben ihn selbst bekehrt. Er spricht nicht mehr Böses von ihnen, sondern lauter Gutes. Der Hannswurst blaset, wenn sein Herr ausstehet, ein gewisses Stückchen auf dem Waldhorn; das hat er sich nun aus Noten setzen lassen, und spielet es Tag und Nacht auf der Violine, daß Einem das Gehör vergehen möchte. Sogar die Kirchenmusik hat auf seinen Befehl am vorigen Sonntag diejenige nachahmen müssen,[68] die gewöhnlich da, wenn er sich auf dem Seile schwenket, aufgemachet wird: auch wird (was vorher nie geschehen) itzt unter der Kommunion ein gedämpftes Waldhorn geblasen.

Der Frau Hannswurstinn Stimme ist lebhaft genug. Sie sang letzthin in der Kirche auf dem Chor, und damals blieb der Herr Oberpastor in der Predig stecken. Man sagt, er habe die Hannswurstinn angesehen, die beständig an ihrem Halstuche gespielet, und darüber sey er irre worden. Sie hat Brüste, wie ein Paar Laibe Landbrod; aber das verstehe ich nicht, wie Einen diese konfus machen sollten. – Die Frau Oberpastorinn spricht immer, sie möchte keine solche Schweitzerkuh seyn, sie hat aber leicht reden, denn sie hat nichts. Indessen zanket sie beständig, daß das Deputatkorn auf dem Boden immer weniger wird. Letzthin wollte sie gar gesehen haben, daß der Hannswurstinn das Hemde unter dem[69] Rocke vorgegangen, und mit ihrem Wäschzeichen gemerket gewesen wäre: daraus will sie behaupten, es sey einer von ihren seinen Kornsäcken gewesen. Auch bringt er ihr itzt immer zu wenig Beichtgroschen nach Hause: und ob er gleich saget, daß dermalen, zur Erndte wenige Leute beichten; so ist sie doch nicht damit zufrieden, und nennet es kahle Ausrede.

Ich und Fiekchen vertragen uns schon besser, und ich müßte es wie ein Schelm lügen, wenn ich noch über Zauberey an meinem Daumen klagen wollte. Er wird mir zwar oft noch steif, aber es ist auch gleich Hilfe da, und Fiekchen ist wirklich eine rechte Balsambüchse für meine Wunden.

Noch etwas muß ich dir berichten: Fiekchens Löchelchen, das sonst so gar niedliche Löchelchen hat sich seither gedehnet, wie ein abgetragener Handschuh, und heißt schon mit Recht ein[70] Loch. Manchesmal bin ich schon mitten darinnen, und doch ist es mir, als ob ich noch in freier Luft wäre. So sind nun alle Sachen auf der Welt der Veränderung unterworfen. – Lebe wohl. Ich bin


Dein Wilhelm.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 67-71.
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