Die Nonne

[111] Im stillen Klostergarten

Eine bleiche Jungfrau ging;

Der Mond beschien sie trübe,

An ihrer Wimper hing

Die Träne zarter Liebe.


»O wohl mir, daß gestorben

Der treue Buhle mein!

Ich darf ihn wieder lieben:

Er wird ein Engel sein,

Und Engel darf ich lieben.«


Sie trat mit zagem Schritte

Wohl zum Mariabild;

Es stand in lichtem Scheine,

Es sah so muttermild

Herunter auf die Reine.
[111]

Sie sank zu seinen Füßen,

Sah auf mit Himmelsruh,

Bis ihre Augenlider

Im Tode fielen zu;

Ihr Schleier wallte nieder.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 111-112.
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