1. Der Rezensent

[105] Süße Liebe denkt in Tönen,

Denn Gedanken stehn zu fern;

Nur in Tönen mag sie gern

Alles, was sie will, verschönen.

Tieck


Schönste! du hast mir befohlen,

Dieses Thema zu glossieren;

Doch ich sag es unverhohlen:

Dieses heißt die Zeit verlieren,

Und ich sitze wie auf Kohlen.

Liebtet ihr nicht, stolze Schönen!

Selbst die Logik zu verhöhnen,

Würd ich zu beweisen wagen,

Daß es Unsinn ist zu sagen:

Süße Liebe denkt in Tönen.


Zwar versteh ich wohl das Schema

Dieser abgeschmackten Glossen,

Aber solch verzwicktes Thema,

Solche rätselhafte Possen

Sind ein gordisches Problema.

Dennoch macht ich dir, mein Stern!

Diese Freude gar zu gern.

Hoffnungslos reib ich die Hände,

Nimmer bring ich es zu Ende,

Denn Gedanken stehn zu fern.
[105]

Laß, mein Kind! die span'sche Mode!

Laß die fremden Triolette!

Laß die welsche Klangmethode

Der Kanzonen und Sonette!

Bleib bei deiner sapph'schen Ode!

Bleib der Aftermuse fern

Der romantisch süßen Herrn!

Duftig schwebeln, luftig tänzeln

Nur ein Reimchen, Assonänzeln,

Nur in Tönen mag sie gern.


Nicht in Tönen solcher Glossen

Kann die Poesie sich zeigen;

In antiken Verskolossen

Stampft sie besser ihren Reigen

Mit Spondeen und Molossen.

Nur im Hammerschlag und Dröhnen

Deutschhellenischer Kamönen

Kann sie selbst die alten, kranken,

Allerhäßlichsten Gedanken,

Alles, was sie will, verschönen.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 105-106.
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